Die Glaszauberin pyramiden1
in den Händen, während die Geschichte sich ihrem Ende näherte.
Umarme mich, tröste mich, liebe mich.
Die lieblichen Stimmen summten durch den Raum, und als ich schwieg, saßen wir da und lauschten ihnen. Ich wußte, daß auch er sie hören konnte. Ich wußte es einfach.
»Mir machen diese Worte immer Mut«, sagte ich. »Dir muß es doch auch so gehen.«
Schweigen.
»Ja«, erwiderte er zögernd.
»Das hat dein Vater deiner Mutter vorgesungen. Ich glaube, das ist ein Teil des Liedes der Frösche.«
»Ja.«
»Glaubst du, wenn wir eines Tages das ganze Lied verstehen können – wenn du es mir einmal nachts vorsingen würdest –, dann könnten wir diese Zuflucht im Jenseits finden?«
»Treib es nicht zu weit, Tirzah!«
»Ich fürchte dich nicht mehr, Boaz.«
Er seufzte. »Sei vorsichtig. Wenn wir unter uns sind an diesem Ort gibt es Worte, die du sagen kannst, die anderswo nicht ausgesprochen werden dürfen.«
»Bestimmt nicht im Schatten der Pyramide.«
Da stand er gereizt auf und starrte aus dem Fenster. Dann goß er Wein in den Kelch. »Ich glaube, dir geht es gut genug, um einen Schluck davon zu vertragen.«
Er hielt mir den Kelch an die Lippen, so wie er mich auch in den vergangenen Tagen versorgt hatte, und ich nahm einen Schluck und lächelte, als er ebenfalls aus dem Kelch trank. Er setzte sich, zog den Stuhl heran, und ein paar Minuten lang teilten wir uns den Wein, teilten ihn uns aus dem Froschkelch.
»Soll ich noch eine andere Geschichte vorlesen?«
»Ja, ich glaube, das würde mir gefallen.«
Und so schlug ich das Buch an einer beliebigen Stelle auf und las eine Geschichte vor. Es war eine Geschichte aus der Frühzeit der Soulenai und wie sie ihre Magie entdeckt hatten. Anscheinend hatten sie eine Neigung zu Metallen und Edelsteinen entwickelt und den Reiz von Glas entdeckt.
Wieder ein sehr gefährliches Thema, und als die Geschichte zu Ende war, stand Boaz auf, füllte den Kelch erneut mit Wein und trank ihn mit vier großen Schlucken aus.
Für dieses Mal hatte ich es weit genug getrieben. Ich schlug das Buch zu, strich zum Dank sanft darüber, und legte es in den Kasten zurück.
»Boaz? Wo kommt der Kasten hin?«
»Ich stelle ihn hier in die Truhe. Vielleicht bitte ich dich einmal nachts, mir daraus vorzulesen. Und vielleicht, jetzt, da deine Übersetzung zur Seite gelegt wurde« – wir hatten beide aufgegeben, so zu tun, als sei ich hier, um trockene geometrische Abhandlungen zu übersetzen – »kannst du ja tagsüber selbst darin lesen.«
Boaz reinigte den Kelch und stellte ihn neben den Kasten. Nicht zurück in das vollgestellte Regal.
Dann holte er einen kleinen Kasten aus einer verschlossenen Schublade seines Schreibtisches.
Ich hatte nie zuvor dort hineingesehen, und den Kasten hatte ich auch noch nie zu Gesicht bekommen.
Wie in jener ersten Nacht, als er mit dem Kasten, der das Buch der Soulenai enthielt, auf dem Schoß dagesessen hatte, saß er geistesabwesend wieder da und trommelte mit den Fingern sanft auf dem Kasten.
»Tirzah, wenn ich dir diesen Kasten und seinen Inhalt gebe, versprichst du mir, mir niemals, aber auch wirklich niemals zu sagen, was du damit tust?«
»Natürlich, Boaz. Was ist es denn?«
Er hielt mir den Kasten hin, und ich nahm ihn mit zitternden Händen entgegen. Mir war übel, unbehaglich zumute, als wüßte ich aus einem unerfindlichen Grund über die Wichtigkeit seines Inhalts Bescheid.
Ich öffnete ihn… und starrte hinein, bis mein Blick vor Tränen verschwamm.
Dort lagen drei Locken aus schwarzem Haar, die mit dünnem Golddraht zusammengehalten waren… und eine Locke, die in Stein verwandelt war.
»Ich weiß«, sagte er langsam, »daß andere… manchmal gern den Toten selber oder sonst eine Erinnerung an ihn haben möchten, damit sie sich auf die richtige Weise von ihm verabschieden können… Sieh, diese Locke gehörte Raguel.«
Ich schluckte und mußte den Kasten fester halten, um meine Hände am Zittern zu hindern.
»Und diese hier ist von Ishkur.«
Ich holte zittrig Luft.
»Die… die gehörte Ta’uz«, sagte er.
Ich starrte ihn an.
»Tirzah, ich weiß nicht, wie sie zueinander standen, aber sie sind zusammen gestorben, und ich weiß, was ich für dich empfinde. Ich dachte…«
»Danke, Boaz«, flüsterte ich, und meine Tränen flossen jetzt unaufhaltsam.
»Und das.« Er nahm die Steinlocke. Er mußte mir nicht erklären, wem sie gehörte. Seine Finger schlossen sich darum. Er starrte seine Faust an, und etwas in
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