Die Glorreichen Sieben 03 - und das Geheimnis der gruenen Maske
zarte Frau mit großen schwarzen Augen. Bereits ein paar Monate nach seiner Geburt war sie an Fieber erkrankt und ganz plötzlich gestorben. Jahre später passierte dann das Unglück mit seinem Vater. Bei einer Tournee durch Holland und während einer Vorstellung unter freiem Himmel. Er hatte auf Plakaten und in den Zeitungen ankündigen lassen, daß er an diesem Abend mit seiner Trapez-Gruppe ohne Netz arbeiten würde. Der Zirkus hatte gerade wieder einmal eine schlechte Zeit, und er wollte mit seiner Sensation möglichst viele Zuschauer auf die Beine bringen.
„Es war am Sonntag nach meinem siebten Geburtstag, ein Abend wie jeder andere, und ich schlief bereits, als die Vorstellung lief“, berichtete Ronny weiter. „Sie sagten es mir dann erst am nächsten Morgen. Ich erinnere mich noch an jede Einzelheit. Arturo saß neben mir auf dem Bett, als ich aufwachte, und an den kleinen Fenstern lief der Regen herunter.“ Der dunkelhaarige Junge hatte bisher vor sich auf den Boden geschaut oder seine Schuhspitzen betrachtet. Jetzt blickte er auf. „Arturo ist unser Clown, müssen Sie wissen. Er war der beste Freund meines Vaters gewesen und sagte nur: ,Wenn’s dir recht ist, bin ich ab heute für dich das, solange du mich brauchst, und solange du’s haben willst.’ Er packte meine Sachen zusammen und holte mich in seinen Wohnwagen. Aber auch Direktor Zamboni kümmert sich seitdem um mich, und überhaupt alle Artisten tun es. Wir sind beim Zirkus wie eine große Familie. Das sagt man nicht nur, es ist so.“
„Und jetzt arbeitest du selber auch am Trapez?“ fragte Herr Senftleben. „Hast du dir eigentlich schon einmal überlegt, was dein Vater dazu sagen würde?“
„Ich war noch keine fünf“, antwortete Ronny, „da ist er bereits zum ersten Mal mit mir auf seine Plattform unters Zeltdach geklettert, hat mich in den Arm genommen und ist mit mir durch die Luft gesegelt. Zuerst hab’ ich mich ängstlich an ihn geklammert. Aber da lachte er bloß und schwang immer höher. Bis er mir dann zurief: ,So , und jetzt zieh den Kopf und die Füße ein.' Ich kugelte mich zusammen wie eine Katze, und da ließ er mich ins Netz fallen. Alle, die gerade im Zelt waren, applaudierten, und ich war auf einmal stolz wie ein Schneekönig.
Schon am nächsten Tag haben wir dann mit dem Training angefangen.“
Ronny blickte den Schuldirektor mit seinen großen, ernsten Augen beinahe belustigt an. „Neun Zehntel von dem, was ich heute kann, hat er mir beigebracht. Daß mir auch mal was passieren könnte, daran denke ich überhaupt nicht.“
„In deinem Alter ist die Liste der Dinge, über die man sich keine Gedanken macht, glücklicherweise ziemlich umfangreich“, bemerkte Herr Senftleben. „Und das ist vielleicht ganz gut so.“
Durch die Tür zum Vorzimmer war Fräulein Kowalski mit ihrer Schreibmaschine zu hören, und die Schulklasse im Musiksaal übte inzwischen für die Weihnachtsfeier vierstimmig „Stille Nacht, heilige Nacht“.
„Kommt jetzt das Examen an die Reihe?“ fragte Ronny wie aus heiterem Himmel.
Der Oberstudiendirektor drehte sich vom Fenster weg und fabrizierte aus seinem tiefschwarzen Zigarillo wieder einmal ein paar kleine weiße Rauchwolken ins Zimmer. „Hast du eins erwartet?“ fragte er.
„Eigentlich schon“, gab Ronny zu. „Arturo sagt jedenfalls, daß man immer auf alles gefaßt sein muß, und hat auch alle Fächer mit mir durchgepaukt Der Junge stand jetzt unwillkürlich von seinem Stuhl auf. „Weil Sie doch rausfinden müssen, in welche Klasse ich hineinpasse, meint er -“
„Dieser Arturo gibt dir also auch Unterricht?“ wollte Herr Senftleben wissen. „Das macht mich neugierig, gebe ich zu, weil du erzählt hast, daß er bei euch im Zirkus als Clown arbeitet…“
„Arturo ist kein gewöhnlicher Clown“, unterbrach Ronny den Schuldirektor, ohne es zu bemerken. „Seine Geschichte hört sich so verrückt an, wie Sie nur wollen. Er ist alles andere als irgendein dummer August.“
„Jetzt bin ich erst recht neugierig“, bemerkte der Oberstudiendirektor.
„Arturo ist natürlich nur sein Künstlername. In Wirklichkeit heißt er schlicht und einfach Arthur Müller“, erklärte Ronny. „Er kommt aus einer alten Artistenfamilie. Sein Großvater war schon Zirkusclown gewesen, und sein Vater war es natürlich auch. Im Krieg hatte man ihn aus der Manege geholt und zu den Soldaten gesteckt. Als dann fünfundvierzig alles zusammenkrachte und das meiste kaputt war, gab es auch
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