Die Glorreichen Sieben 03 - und das Geheimnis der gruenen Maske
nach allen Himmelsrichtungen auseinanderstapften.
„Unsere Taxis liegen noch auf dem Ohr“, erklärte Frau Breitschuh. „Aber drüben muß gleich die Sieben um die Ecke kommen, und die hält genau vor meiner Haustür.“
Als sie sich ein paar Minuten später als einzige Fahrgäste in der Straßenbahn gegenübersaßen, erzählte die rundliche Frau mit dem platinblonden Haar bereits ihre ganze Lebensgeschichte. Sie würde auch aus einer Artistenfamilie kommen, erklärte sie gerade ein wenig stolz, als ihr der Schaffner das Wechselgeld für die Fahrscheine zurückgab. „Mein Vater war Entfesselungskünstler. Er ließ sich von irgendwelchen Leuten aus dem Publikum wie ein Paket mit eisernen Ketten zusammenschnüren und dann mit dem Kopf nach unten an einem Seil zehn Meter hoch in die Luft ziehen. Die Musik spielte dazu den Donauwalzer, mit dem sie aber nie zum Schluß kam. Mein Vater war nämlich jedesmal schneller, schlüpfte wie ein Aal aus seinen Fesseln, breitete seine Arme auseinander, rief laut ,01e !‘ und ließ sich wieder auf den Boden transportieren. Da klatschte das Publikum dann immer so verrückt in die Hände, daß man von der Musik überhaupt nichts mehr hören konnte.“
„Und Sie?“ fragte Ronny höflich.
„Ob du es glaubst oder nicht, ich bin als Schlangenmensch aufgetreten.“ Frau Breitschuh lächelte verlegen. „Damals war ich noch schlank wie ein Reh und konnte mir mit den Füßen die Nase putzen. Mein ganzer Körper war wie aus Gummi. Wir sind durch fast alle Erdteile gereist, von einem Zirkus und von einem Variete zum anderen. Dabei ist mir dann auch Zambo-ni zum ersten Mal über den Weg gelaufen und dann immer wieder. Er war für mich der eleganteste Mann der Welt, wenn er so kerzengerade in Frack und Zylinder durch die Manege galoppierte. Du liebe Zeit, wie hab’ ich ihn damals angehimmelt!“ Frau Breitschuh kicherte und zupfte wieder einmal an ihrem Fuchspelz herum. „Seitdem ist eine halbe Ewigkeit vergangen. Aber unsere Freundschaft ist geblieben. Wenn er in die Gegend kommt, steht er immer noch jedesmal mit einem riesigen Blumenstrauß vor meiner Tür, und überall macht er Reklame für meine Pension. Bei mir wohnen nämlich in der Hauptsache Artisten und Schauspieler.“
Während der ganzen Zeit hatte Ronny aufmerksam und freundlich zugehört. Aber gleichzeitig hatte er unwillkürlich auch daran denken müssen, was ihm Direktor Zamboni über Frau Elfriede Breitschuh berichtet hatte. Daß sie nämlich eine besonders patente Person sei und dabei gutmütig wie ein Nilpferd.
„Sie hat ein Herz so groß wie ein Möbelwagen“, hatte er noch hinzugefügt. „Leider quasselt sie wie ein Wasserfall. Aber da mußt du ja nicht immer hinhören.“
Die Straßenbahn rumpelte inzwischen über die Weichen am Karlsplatz, und dabei sprühten Funken wie von einer Wunderkerze aus der Oberleitung. Der Inhaber des Zeitungsstandes vor dem Zigarrengeschäft Bemmelmann zog gerade seine Rolläden hoch, und aus der Ahornstraße kam ein Wagen der Straßenreinigung.
Kurz darauf hielt die Linie sieben tatsächlich direkt vor der Amselstraße 11.
„So, da wären wir“, stellte Frau Breitschuh fest und griff wieder nach der Segeltuchtasche.
Die Pension Flora lag im zweiten Stock. Sie hatte einen schmalen und einen breiten Korridor. Die Türen waren numeriert, und in der Mitte gab es einen größeren Wohnraum mit mehreren Tischen, einem Aquarium mit fünf Goldfischen und einem Fernsehapparat. Gleich daneben ging es in die Küche. Alles war blitzsauber, die Türklinken strahlten, und die Fenster funkelten.
„Willkommen in der Pension Flora“, sagte Frau Breitschuh und öffnete die Tür mit der Nummer zwölf. „Da bist du jetzt zu Hause, wenn du nichts dagegen hast.“
Das Zimmer war nicht besonders groß, aber es hatte eine eigene Dusche, ein Bett, einen Tisch mit einer Leselampe, einen breiten Kleiderschrank und einen alten
Ohrensessel mit einem Blumenmuster auf dem Überzug. Durch das Fenster hatte man einen Blick auf den alten Stadtgraben. Dahinter konnte man ein Stück vom Güterbahnhof sehen und den Aussichtsturm auf dem Zobelberg.
„Sagenhaft“, erklärte Ronny, nachdem er seinen schweren Koffer abgestellt hatte.
„Dann ist ja alles in Butter“, meinte Frau Breitschuh. „Ausgepackt wird später, und da helfe ich dir dann dabei. Wenn du willst, kannst du jetzt zuerst einmal mit deinem Kopf unter die Wasserleitung, während ich uns einen Kaffee koche, der sich gewaschen
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