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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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sie für kaputt erklärte. Die Teile ließen wir am Rand des Parkplatzes liegen, wo alle paar Wochen neuer Sperrmüll auftauchte.
    Dann fuhren wir zu einem Mietkabinendepot. Es lag auf dem Gelände des alten Schlachthofs, der vor ein paar Jahren abgerissen worden war, zwischen einem Gebrauchtwagenhändler und einer Automatenspielhalle. Über deren Tür blinkte eine Lichtreklame mit dem Schriftzug CASINO MAGIC , davor stand eine Imbissbude, die geschlossen hatte. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, war ein Tauchladen, auf dessen Dach ein gewaltiger Plastikschnorchel angebracht war wie ein gekippter Spazierstock. Die Fläche, auf dem die Schlachthofgebäude gestanden hatten, war viel größer und breiter als das Depot, und sie endete an den Bahngleisen. Im hinteren Teil ragten abgesägte Stahlträger und braune Stauden aus dem Schutt, Sommerflieder wahrscheinlich.
    Das Lagerhaus hatte keine Fenster; nur drei Streifen aus trübem Plexiglas durchbrachen die Fassade zur Straße hin von oben bis unten. Mein Vater schnallte sich ab, öffnete seine Tür und sagte, ich solle im Wagen warten. Vier oder fünf Minuten später kam er zurück. Eine Frau ging neben ihm, sie hatte braunes, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar mit einer grün gefärbten Strähne darin, und sie trug eine dicke rote Steppweste. Roland starrte durch den Maschendraht auf die Autos, die bei dem Händler nebenan ausgestellt waren. Ich konnte sehen, dass die Scheiben seines eigenen Wagens von innen beschlagen waren. Es war ein metallicblauer Subaru, ein flaches und kantiges Ding, dessen linker vorderer Kotflügel mit Flecken aus einer grauen Paste übersät war.
    «Da ist mir mal einer reingeknallt», sagte er zu mir. «Bin noch nicht dazu gekommen, es richtig machen zu lassen.»
    Wir gingen zu einem hohen Tor; die Frau steckte einen Schlüssel an einer langen Kette in ein Schloss an der Wand, drehte ihn und drückte auf einen Knopf. Der Rollladen hob sich, dahinter begann ein langer Gang. Alles wirkte sauber und neu und hell hier drinnen. Der Boden war weiß, die Decke unverkleidet, man konnte Leitungen und Metallschienen sehen, Neonröhren hingen in kurzen Abständen, und zu beiden Seiten lagen die Kabinen, die aussahen wie Garagen. Roland pfiff klanglos vor sich hin und sah mich an.
    «Gar nicht so dumm, was?», sagte er. «Wusste gar nicht, dass es so was gibt.»
    Die Frau mit der grünen Haarsträhne zeigte uns Sackkarren, Möbelhunde und ein fahrbares Gerät, das sie
Ameise
nannte, mit zwei langen, schmalen Metallzungen dicht am Boden und einer geraden Stange mit Handgriffen an deren Ende. Dann ließ sie uns allein.
    Aus dem Laster luden wir den leergeräumten Kleiderschrank meiner Eltern und den kleineren aus meinem Zimmer, meinen Tisch und den Drehstuhl, das Sofa, die Kommode, auf der der Fernseher gestanden hatte, und die Nachtschränke meiner Eltern. Ein Stück nach dem anderen wuchteten wir auf einen Untersatz, schoben es in die Halle und den künstlich beleuchteten Gang entlang bis zu der Kabine, die uns die Frau zugewiesen hatte. Dann zog mein Vater drei Flaschen Cola aus einem Getränkeautomaten, und wir tranken, an die zusammengerückten und gestapelten Möbel gelehnt.
    «Seid ihr hungrig?», fragte er nach einer Weile.
    «Ich könnte was essen», sagte Roland. «Wenn ich so gefragt werde.» Er sah schläfrig aus, seine Stimme war leise.
    «Vorn am Automaten gibt es Schokoriegel», sagte mein Vater.
    «Riegel sind gut», sagte Roland, noch leiser.
    Mein Vater stellte seine Flasche auf den Boden und sagte, er werde uns welche besorgen. Roland und ich blieben, wo wir waren.
    «Ich hab einen Bauchfellriss», sagte er plötzlich. «Ich sollte so Sachen nicht machen wie hier.» Er drückte auf seinem Pullover herum, der Stoff warf Falten, und dann zeichnete sich eine dicke Beule auf Höhe seines Bauchnabels ab. «Eine Plage ist das, das kann ich dir sagen», murmelte er und massierte die Beule. Ich wusste nicht, ob ich ihm zusehen oder wegschauen sollte, also schaute ich auf die Uhr, es war kurz vor halb zwei, dann trank ich noch einen Schluck Cola.
    «Wie kann so was passieren?», fragte ich.
    «Schwaches Bindegewebe», antwortete er.
    «Ist das gefährlich?»
    Er knautschte sein Gesicht wie einen weichen Lederball, sagte aber nichts, sondern nahm seine Brille mit dem dicken Gestell ab und putzte sie umständlich mit einem Zipfel seines Hemdes. Ich wollte ihn fragen, was er eigentlich für einen Beruf hatte, und überlegte, wie

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