Die Glücksparade
einen Plastikeimer an seinem dünnen Henkel halten, und ich dachte daran, dass er einmal auf dem Land hatte leben wollen.
Lisa würde das nicht gefallen, dachte ich. Allerdings glaubte ich auch, dass er einen Weg finden würde, selbst das als etwas Großartiges erscheinen zu lassen.
Es gab, abgesehen von Hausaufgaben, die ich nicht machen würde, nichts Wichtiges zu tun für mich, weder drinnen noch draußen, und die Vorstellung, es könnte etwas gewesen sein zwischen Lisa und meinem Vater, ließ mich nichts, was ich anfing, wirklich aushalten. Ich fand es unmöglich, mich auch nur fünf Minuten auf einen meiner Comics zu konzentrieren, weil ich ständig an die beiden denken musste. Der Himmel war blau, der erste sonnige Tag seit mindestens zwei Wochen. Auch meine Mutter ging bald nach draußen, um frische Luft zu atmen, wie sie sagte, und um die Winterkleidung in den Kisten im Schuppen durchzusehen und zu bestimmen, was davon in den Container geräumt werden sollte. Ich beschloss, ihr dabei zu helfen und meine eigene Auswahl zu treffen.
Um die Sachen vor Erde und Gras zu schützen, breiteten wir sie auf einer olivgrünen Plastikplane aus. Sie hatte einmal zu einem Zelt gehört und war, von Urlaubern zurückgelassen, von meinem Vater für noch brauchbar befunden worden. Unsere Kleider lagen darauf wie bei einem Basar, unter ihnen ein Schal mit Schottenmuster, ein Geschenk meiner Oma, den ich bislang nie getragen hatte, weil er zu nichts passte, was ich besaß, und mir außerdem immer altmodisch erschienen war. Ich hatte völlig vergessen, dass es ihn gab. Aber hier lag er zwischen einer alten Kapuzenparka und zwei Fleecepullovern, mehrmals gefaltet.
«Den ziehe ich gleich an», sagte ich und knotete ihn mir um den Hals. Er roch schwach süßlich nach Mottenpulver. Meine Mutter schüttelte den Kopf, um mir zu zeigen, dass sie sich über mich wunderte.
Ich ließ sie allein und ging auf die Rückseite des Schuppens, wo mein Rennrad lehnte. Es machte einen ziemlich jämmerlichen Eindruck. Die Stange war von einem gipsweißen Vogelschiss getroffen worden, und der Hinterreifen war platt. Ich begann ihn aufzupumpen, dabei rutschte das Rad ein Stück zur Seite und gab die Stelle frei, auf der der Reifen seit dem Sommer gestanden hatte. Das Gras darunter war gelb.
«Wohin willst du denn?», fragte meine Mutter, als ich mit dem Rad um die Ecke kam.
«Ich fahre einfach los», sagte ich und stieß mich ab, um ein paar Meter wegzukommen. Die Wahrheit war, dass ich keine Ahnung hatte, was ich tun würde. Ich hatte gehofft, meinem Vater nicht zu begegnen, bevor ich vom Platz war, und als er unerwartet hinter der Bürohütte hervorkam, erschrak ich. Aus irgendeinem Grund meinte ich, er erwische mich bei etwas Verbotenem und erwarte eine Erklärung von mir. Doch er sagte nur, er habe schon befürchtet, ich würde das Fahrrad nie anrühren und einfach hier verrosten lassen wie irgendein Stück Schrott.
Bevor ich auf den Parkplatz kam, fuhr ich nicht, sondern saß nur im Sattel und brachte das Rad voran, indem ich mich mit den Füßen abstieß. Währenddessen hatte ich plötzlich das Gefühl, dasselbe schon einmal erlebt zu haben, aber erst später, als die Insel schon mindestens zwei Kilometer hinter mir lag, fiel mir der kleine Junge mit dem Pflaster auf der Brille wieder ein.
Ich hielt mich weit rechts auf der Straße, fuhr manchmal auch auf dem Seitenstreifen jenseits der Markierung, Wiesen und Äcker zu beiden Seiten. Um mich abzulenken, fing ich an, die Pfosten am Straßenrand zu zählen, vergaß es aber schon nach dem vierten. Was ich eigentlich vorhatte, hätte ich selbst nicht sagen können, es tat nur gut wegzukommen.
Unterhalb des Kreisverkehrs wechselte ich auf einen Feldweg, der in einiger Entfernung parallel zur Straße verlief. Ich stieg ab, trug das Rad die Böschung hinunter und dann dreißig oder vierzig Meter querfeldein über die Furchen, in denen abgemähte Strohhalme untergepflügt waren. Inzwischen spürte ich meine Oberschenkel, und vom Sitzen auf dem harten Sattel schmerzte auch mein Hintern. Die Felder um mich herum gehörten offenbar zu einem Hof, der in der freien Ebene stand, auch eine grün gestrichene Halle mit zwei braunen Toren konnte ich sehen. In der Nähe der Gebäude standen einige Bäume und zwei Autos, bei einem Bretterverschlag lag ein Holzstoß. Nach einer Weile tauchte eine Hecke neben dem Weg auf, und von da an war der Boden betoniert. Hier begann eine Schrebergartensiedlung. Schon
Weitere Kostenlose Bücher