Die Glücksparade
Feinkostabteilung Aushilfen für die Vorweihnachtszeit suchte. Schon ein paar Tage später führte sie ein Vorstellungsgespräch am Telefon. Am Abend erfuhr ich, dass es nicht gut gelaufen war. Als man ihr erklärte, sie solle zu unterschiedlichen Zeiten sechs bis acht Stunden täglich arbeiten, für weniger als sieben Euro in der Stunde, hatte meine Mutter einfach aufgelegt. Sie erzählte, der Mann, mit dem sie gesprochen hatte, hätte sofort noch mal angerufen und gesagt, sie wären leider gerade unterbrochen worden. Da hätte sie ihm geantwortet, seinen schäbigen Hungerlohn solle er sich sonst wo hinstecken und sie in Ruhe lassen.
Ich konnte sie verstehen, allerdings fand ich es ungerecht, dass sie ihre Wut an meinem Vater ausließ, der sie, wie sie nun behauptete, überredet hätte, sich überhaupt auf die Ausschreibung zu melden. Wir standen in der Küche, es war eigentlich Zeit, zu Abend zu essen, aber der Tisch war noch nicht gedeckt.
«Ich kann nicht hexen», sagte mein Vater.
«Keiner verlangt das», sagte meine Mutter genervt.
«Was dann? Soll ich hier auf dem Platz nach Gold graben?»
Wenn es hier welches gäbe, hätte Bubi es schon gefunden, antwortete meine Mutter, fast schon wieder lachend.
«Aber du könntest dich für eine Quizsendung anmelden. Im Fernsehen. Da kommt mehr bei rum, als wenn du die blöden Schaustellerwagen bewachst.»
«Die nehmen nicht jeden», sagte mein Vater. «Da muss man sich bewerben, mit Foto und Lebenslauf und Hobbys und dem ganzen Quatsch.»
«Normalerweise schon», sagte meine Mutter. «Aber bei Lisa Heller ginge es sicher auch so. Wenn ich Aleki frage, kann sie bestimmt dafür sorgen, dass du da reinkommst, in diese Glücksparade.»
Mein Vater runzelte die Stirn.
«Ich werde sie fragen», sagte sie. «Das habe ich mir schon länger überlegt.»
«Tu das bitte nicht», sagte mein Vater.
«Was wäre denn dabei?», fragte meine Mutter. «Ich würde ja selbst hingehen, aber dir fällt bei so was mehr ein.»
«Die Sendung ist gestorben», erwiderte mein Vater.
«Woher weißt du das?»
«Sonst hätten wir davon gehört», sagte mein Vater nur, und dann räumte er Teller und Besteck auf den Tisch und die Packung mit dem geschnittenen Brot. «Wir brauchen neues Brot», sagte er.
Ich hätte nicht sagen können, warum ich nach dem Essen und auch noch als ich im Bett lag, über dieses Gespräch nachdenken musste. Trotzdem war ich sicher, dass es nichts mit dem zu tun hatte, was mein Vater gesagt hatte, sondern mit dem Ton, in dem meine Mutter nachgefragt hatte, als es um die Glücksparade gegangen war. Ihre Stimme hatte ganz ähnlich geklungen an dem Abend, als Klaus und Petra bei uns gewesen waren und als mein Vater plötzlich von den Schaustellern gesprochen hatte, von denen wir noch nichts wussten. Meine Mutter hat ein Gespür dafür, wenn ihr etwas verschwiegen wird, dachte ich. Erst wunderte ich mich über diesen Gedanken, aber bald erschien er mir nicht mehr seltsam, sondern wie eine Erklärung, nach der ich lange gesucht hatte und die mir nur nicht gefiel, weil sie so einfach wirkte.
Am nächsten Morgen kam mir die Idee albern vor, denn die Stimmung war gut. Es war Samstag, ich musste nicht zur Schule, und meine Eltern schliefen lang. Weil kein Brot mehr da war, machte meine Mutter Pfannkuchen zum Frühstück, die wir mit Marmelade aßen. Zusammen mit dem Kaffee schmeckten sie mir so gut, dass ich mir drei Stück nacheinander backen ließ. Während ich zusah, wie sie an den beiden Kochplatten stand, mit der Kelle und dem Wender hantierte, um aus dem übriggebliebenen Teig noch weitere Pfannkuchen zu machen, versuchte ich Lisa und meine Mutter zu vergleichen. Meine Mutter hatte braunes Haar, und nur wenn man sehr genau hinschaute, fielen einem die grauen Strähnen darin auf. Sie war achtunddreißig, doch viele Leute hielten sie für jünger. Auch bei den Nachbarn hatte ich das häufig erlebt. Ob sie gut aussah, fand ich unmöglich zu entscheiden, und ich mochte es nicht, darüber nachzudenken. Genauso wenig mochte ich es, mir auszumalen, was meinem Vater an Lisa gefiel. Ich hätte auch nicht sagen können, was mir an ihr gefiel.
Die Tür des Containers war geöffnet, damit der Dunst und der Fettgeruch abziehen konnten. Mein Vater war aus der Küche gegangen, um nicht im Weg zu stehen, wie er gesagt hatte, und jetzt machte er sich im Freien zu schaffen. In dem Spalt, durch den ich nach draußen schauen konnte, tauchte ab und zu sein Rücken auf. Ich sah ihn
Weitere Kostenlose Bücher