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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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unserem Küchenfenster erkannte, noch eine Zigarette rauchte.
    Sie wollte so schnell wie möglich fertig werden und ging mit großen Schritten zu den Mülltonnen. Mit einem Ruck riss sie die gelbe für Plastik und Metall einen halben Meter nach vorn, ich sprang ihr bei, und wir schoben und zerrten sie gemeinsam die dreißig Meter bis vor den Zaun. Während wir den zweiten Kübel über den holprigen Untergrund in Richtung des Schlagbaums zogen, fragte meine Mutter plötzlich:
    «Glaubst du, dass diese ganze Geschichte noch irgendwie gut ausgeht?» Ihr Atem roch nach Rauch.
    «Was meinst du?», fragte ich zurück und ließ den Griff des Kübels los. Mit meiner Frage versuchte ich vor allem Zeit zu gewinnen. Wir standen im Dunkeln auf dem Weg und sahen uns an. Die Äste des Baums, neben dem wir stehen geblieben waren, knackten wie ein altes Bett, in dem sich jemand umdreht.
    «Na ja, du weißt schon. Die Sache mit dem Campingplatz und all das.»
    «Glaubst du nicht?», fragte ich. Was sie gesagt hatte, konnte mehreres bedeuten, dachte ich. Vielleicht wollte sie wirklich meine Meinung hören, vielleicht wollte sie erfahren, ob ich meinem Vater vertraute in dem, was er tat und uns erzählte. Oder sie wollte, dass ich sie beruhigte, indem ich alles, was war und geschehen würde, besser aussehen ließ, als es in Wirklichkeit war, egal, ob ich tatsächlich daran glaubte oder es nur vorgab.
    «Wenn ich es wüsste, würde ich nicht fragen», sagte sie.
    Ich tat, als überlegte ich, obwohl ich nur nach einer guten Antwort suchte. Je mehr ich mich anstrengte, desto schwerer fiel es mir, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken flohen schon wieder zu völlig anderen Dingen.
    «Also aus der Bude hier», sagte ich endlich, und es war das erste Mal, dass ich diesen Ausdruck benutzte, «kann uns zumindest keiner mehr rausschmeißen.»
    «Du hörst dich genau an wie dein Vater», sagte sie, aber sie lächelte. Dann fragte sie, wie es mir ohne Benni gehe.
    «Ich weiß nicht, nächstes Jahr haben wir ihn ja wieder», antwortete ich, doch sie ließ mich kaum den Satz beenden, sondern sagte, sie habe sich entschlossen, wieder nach Arbeit zu suchen.
    «Findest du das gut?», fragte sie.
    «Natürlich», sagte ich.
    Sie lächelte und wirkte erleichtert über meine Antwort, obwohl ich nicht gleich begriff, was ihr daran so wichtig sein konnte.
    «Ganz ehrlich?», fragte sie noch einmal. «Ich meine, im Reisebüro werde ich wahrscheinlich nichts mehr bekommen … trotz meiner erstklassigen Erfahrungen im Camping-Tourismus. Ich müsste irgendwas anderes machen.»
    Ich zog die Mülltonne allein ein Stück weiter, bis sich ein Rad vor einem Grasbüschel am Wegrand quer stellte. Meine Mutter strich sich das Haar hinter die Ohren. Sie ließ sich viel Zeit, bevor sie mir half.
    Nach dem Abendbrot sahen wir zusammen fern. Wir schauten das Ende der Tagesschau, dann begann eine Serie, die meine Mutter jede Woche anschaute, über eine Familie in München mit drei erwachsenen Kindern. Nach einer halben Stunde hatte ich keine Lust mehr darauf. Jedes Bild sah genau aus wie in einer Werbung für Kaffee. Ich konnte nicht verstehen, was sie daran fand.
    «Ich dachte, so was schauen nur alte Leute an», sagte ich.
    Meine Mutter reagierte nicht. Ich fragte sie, was ihr daran gefalle, und sie antwortete, sie sehe die Serie eben immer und wolle einfach gern wissen, was weiter passiert.
    Als mein Handy brummte, stand ich auf. Die Nachricht kam von meinem Vater. Er schrieb, er werde morgen erst spät zurück sein. Nur beiläufig dachte ich daran, dass ich so noch einen Tag freihaben würde. Ich kochte Wasser im Schnellkochtopf, übergoss einen Teebeutel, und während ich ihn ziehen ließ, antwortete ich. Ich hielt die Nachricht kurz, ich schrieb nur GUTE NACHT .

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    Auch die Hellers waren irgendwann nicht mehr da. Ich weiß nicht, ob sie sich verabschiedet hatten, und ich entdeckte auch nichts, was ein Geschenk von ihnen hätte sein können. Sei es, dass sie keins gebracht hatten, sei es, dass es zwischen den Sachen meiner Eltern verschwand wie das Foto, das Horst nach dem Abendessen auf der Veranda aufgenommen hatte, die Rollläden an ihrem Caravan blieben unten. Meine Mutter beklagte sich seitdem über das Alleinsein. Sogar Benni fehlte ihr jetzt.
    Zusammen mit meinem Vater schrieb sie Bewerbungsbriefe für Stellen als Verkäuferin in Modegeschäften und als Bürokraft. Einen schickte sie auch ab – an ein Kaufhaus, dessen

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