Die Glücksparade
den Reißverschluss zu und ging zurück zum Container.
Die Rezepte waren eingeteilt in Gerichte mit Rindfleisch, Schweinefleisch, Wild, Geflügel und Fisch, außerdem gab es ein Kapitel zu Beilagen, eins zu Mehlspeisen, zu Suppen und eins zu Nachtischen. Anfangs betrachtete ich nur die Fotos.
«Wie wäre es mit Hirschrücken?», sagte ich. Aus irgendeinem Grund hatte ich Lust, meine Mutter zu ärgern.
Sie schwieg.
«Richtig, du isst nicht so gerne Wild», sagte ich und blätterte weiter. Schon beim Überfliegen merkte ich, wie schwierig es war, etwas zu finden, das sich ohne Vorbereitung kochen ließ. Fast immer konnte ich nach wenigen Sekunden sehen, dass die wichtigsten Zutaten fehlten, aber ich wusste, sie würde mich auslachen, wenn ich zuletzt Nudeln mit Tomatensoße machte oder Milchreis mit Zimt und Zucker, die beiden einzigen Gerichte, die ich konnte.
«Haben wir Hackfleisch?», fragte ich, als ich ein Rezept für Hackbraten fand.
«Nein», sagte sie knapp.
Das Nächste, was ich für machbar hielt, war Erbseneintopf. Ich war inzwischen im Kapitel mit den Suppen.
«Haben wir Speck?», fragte ich.
«Nein», sagte sie wieder.
Dann fand ich die Zwiebelsuppe nach
französischer Art
. Auf dem Bild war sie in Schalen gefüllt, die aussahen wie Suppenschüsseln. Auf der Suppe schwammen Brotstücke mit geschmolzenem Käse. Die Anleitung unter der Liste mit den Zutaten war kurz, und was zu tun war, klang einfach. Es hieß, man solle die Zwiebeln in Ringe schneiden, andünsten, mit Weißwein ablöschen und etwas ziehen lassen und sie anschließend in einem Liter Rinderbrühe weiterkochen. Danach sollte man die Suppe in Teller füllen und mit Baguettescheiben und einem Käse überbacken, den ich nicht kannte.
«Haben wir Zwiebeln?», fragte ich.
«Zwiebeln sind eigentlich immer da», sagte sie.
«Und Käse?»
Meine Mutter nickte.
«Haben wir Weißwein?», fragte ich.
«Nein», sagte sie.
«Dann lass ich ihn weg», sagte ich.
Beim Schälen und Schneiden der Zwiebeln bekam ich Tränen in die Augen. Mit einem stumpfen Messer säbelte ich Ringe von unterschiedlicher Dicke auf einen Teller. Als ich glaubte, genug zu haben, stellte ich eine Pfanne auf den Herd und gab einen Brocken Margarine hinein, anstelle der Butter. Ich ließ den dunkelgelben Klecks durch die Pfanne rutschen. Beim Schmelzen hinterließ er Spuren wie eine Schnecke.
Insgesamt brauchte ich etwas länger als eine halbe Stunde. Was ich gekocht hatte, schmeckte anders, als ich es mir ausgemalt hatte: wie Brühwürfelsuppe mit weichen weißen Ringen, die selbst fast kein Aroma hatten. Ohne Ofen konnte ich sie nicht überbacken, also rieb ich etwas Käse direkt in die heiße Suppe und legte je eine Scheibe Toastbrot daneben.
Wir löffelten unsere Teller aus, ohne über das zu sprechen, was wir aßen. Das Geschirr räumte ich anschließend ins Spülbecken.
«Jetzt mache ich uns noch Kaffee», sagte ich.
Ich schaltete den Schnellkocher an und gab je zwei Löffel Instantpulver in zwei Becher. Einige Brocken des groben braunen Zeugs fielen daneben und wurden auf der feuchten Unterlage zu schwarzen Klecksen. Ich kümmerte mich nicht darum, goss das dampfende Wasser auf und stellte die Becher auf den Tisch.
Nachmittags rief mein Vater an. Er sagte, er sei gut durchgekommen und es laufe alles nach Plan.
«Wo bist du jetzt?», sagte ich.
«In Holland auf der Autobahn, nicht weit hinter der Grenze, aber hier ist schon alles flach. Soll ich dir ein paar Holzschuhe mitbringen?»
«Danke, das würde mich wirklich freuen», sagte ich.
«Alles in Ordnung bei euch?», fragte er.
«Ja», sagte ich.
Er bat mich, das Handy an meine Mutter weiterzureichen. Auch mit ihr sprach er nur kurz. Sie sagte, es gebe nichts Besonderes, und auf etwas, das ich nicht verstand, antwortete sie, das würden wir erledigen.
Mein Vater hatte sie daran erinnert, dass die Mülltonnen nach vorn zum Parkplatz gebracht werden mussten. Es ging um die beiden schweren Behälter mit den Schiebedeckeln neben dem Gastank beim Büro. Einmal im Monat wurden sie abgeholt, und anscheinend war es ausgerechnet morgen früh wieder so weit.
«Wir hätten damit anfangen sollen, solange es noch hell war», sagte ich.
«Ich weiß», sagte meine Mutter. «Tut mir leid.»
Draußen merkte ich, dass der Wind sich gelegt hatte. Die Luft war feucht und kalt und angenehm zu atmen. Ich ging voraus und wartete neben dem Tank auf meine Mutter, die, wie ich am Aufglühen des rötlichen Punkts unter
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