Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
Redaktionssystem zu stellen. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie nur noch zwanzig Minuten Zeit hatte.
Sie saß mit ihrem Laptop im Wohnzimmer, wo sie sich eine kleine Arbeitsecke eingerichtet hatte. Emma hoffte, dass die Geschichte ihr den ersehnten Pauschalistenvertrag bringen würde. Den würde sie selbst dann bekommen, wenn sie mit ihrer Spekulation nicht richtig lag, dass die katholische Kirche ein massives Interesse daran hatte, die Originalhandschrift einer bekannten und geachteten Kirchenfrau verschwinden zu lassen. Denn die Fakten waren ziemlich dünn, auf die sie sich stützte. Die Morde. Die alte Clique. Die Gerüchte, dass der Biologielehrer eine verschollene Handschrift in seinem Besitz hatte. Der Besuch des Priestersbeim Mordopfer wenige Tage vor ihrem Tod. Alles Dinge, für die es Beweise oder Zeugen gab. Doch dann wurde es heikel. Wenn sie eine Andeutung schrieb, dass mehr hinter den Morden steckte, musste sie irgendein Pfand in der Hinterhand haben. Frustriert schob Emma ihre Unterlagen zur Seite. Um es genau zu nehmen, hatte sie weder einen Beweis noch eine ernstzunehmende These. Sie hatte lediglich eine vage Vermutung, und die konnte sie nur vorsichtig andeuten. Emma streckte sich und gähnte. Sie stand auf, ging in die Küche und goss sich ein Glas Milch ein. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, trat an das Fenster und betrachtete die Straße, die friedlich im Dunkel der Nacht unter ihr lag.
Frustriert presste Emma die heiße Stirn gegen das Glas. Klar konnte es passieren, dass sie mit ihrer Spekulation falsch lag. Doch wer verdächtigte heutzutage nicht den Vatikan dunkler Umtriebe? Mit den Kirchenoberen hatte Emma kein Mitgefühl. Sie hatten es nicht besser verdient. In all den Jahrhunderten hatten sie kein Mitleid für die Mitglieder ihrer Kirche gehabt und immer abstrusere Forderungen gestellt, wie diese ein gottgefälliges Leben führen sollten.
Doch was, wenn sie recht hatte. Das würde bedeuten, geistliche Würdenträger wären abgebrüht genug, zwei Menschen töten zu lassen, um den Ruf ihrer Institution zu schützen. Emma zweifelte nicht daran, dass manche Angehörige der katholischen Kirche sehr weit gehen würden, um das Ansehen der Kirche zu wahren.
Sie hatte den Mut, diesen Artikel zu Ende zu schreiben und zur Publikation freizugeben. Das war keine Frage. Doch was, wenn sie heute Abend den Artikel nicht abliefern würde? Dann wäre Schluss mit der Hoffnung auf einen Pauschalistenvertrag, Schluss mit einer Zukunft als Journalistin. Emma schloss gequält die Augen.
»Wo ist das Problem?«, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu,das sie durch mehrere Regentropfen seltsam verzerrt von der anderen Seite des Fensters zu betrachten schien. »Du hast den Artikel geschrieben. Er ist gut. Also warum zögerst du?«
Emma seufzte. Sie wusste genau, wo das Problem lag. Sie hatte in den vergangenen Stunden alle Argumente in ihrem Artikel zusammengefasst, die sie die ganze Woche gesammelt hatte. Aber während des Schreibens waren ihr Zweifel gekommen. Ihre Argumentationskette war stichhaltig, ihre Spekulation war gut recherchiert. Und selbst, wenn sich ihre Spekulationen als nicht zutreffend herausstellen würden, waren sie zu diesem Zeitpunkt der Recherche eine mögliche Schlussfolgerung.
Das Dumme war nur, dass sie nicht mehr davon überzeugt war. Sie glaubte nicht daran. Wenn sie jetzt den Artikel ablieferte, dann hätte sie ihren Pauschalistenvertrag mit Hilfe eines Textes bekommen, den sie selber als unglaubwürdig empfand. Emma wanderte ziellos umher. Mit jedem Schritt festigte sich ihre Entscheidung. Sie würde diesen Artikel nicht freigeben. Damit konnte sie den Vertrag abschreiben. Und ihre berufliche Existenz vermutlich auch.
Doch was war das Motiv für die Morde? Und hatte ihr Vater wirklich nichts damit zu tun? Irgendwie schien es ihr, als wäre die Lösung des Rätsels ganz nah. Dass sie nur alle Fakten auf den Tisch legen müsste, um herauszufinden, was geschehen war.
Sie musste an Hertl denken. Glaubte auf einmal seine Stimme zu hören und seinen Mund auf ihren Lippen zu spüren. Tränen traten in ihre Augen. Sie ballte die Fäuste. Vielleicht konnte sie es schaffen. Herausfinden, warum er hatte sterben müssen. Und wer ihn auf dem Gewissen hatte. Sie musste es einfach noch mal versuchen. Das war sie ihm schuldig.
Entschlossen kehrte sie zu ihrem Schreibtisch zurück.Dort lag noch immer das Blatt Papier, auf dem sie sich am Morgen die Namen aller Beteiligten notiert
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