Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
unverantwortlich, wenn sie länger schwieg. Doch vorher wollte sie noch mit Pfarrer Windisch sprechen. Schwester Lioba glaubte in Windischs Augen das gesehen zu haben, was auch sie beschäftigte, seit sie von diesem furchtbaren Mord gehört hatte. Angst vor den Gespenstern der Vergangenheit. Und Wut auf diejenigen, die so viel Leid über sie brachten.
Quae seminaverit homo, haec et metet; quoniam qui seminat in carne sua, de carne metet corruptionem, qui autem seminat in spiritu, de spiritu metet vitam aeternam.
Die Worte der Lesung bekamen auf einmal eine ganz neue Bedeutung. Schwester Lioba stimmte das Kyrie eleison an und rief sich dabei die deutsche Übersetzung der Lesung ins Gedächtnis, die ihr noch immer vertrauter war als die lateinischen Worte:
Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Wer im Vertrauen auf das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten; wer aber im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten.
Rasch sah sie noch einmal hoch. Windisch erwiderte ihren Blick. Die Lesung hatte bei ihm die gleiche Erinnerung geweckt, dessen war sie sicher. In seinem Blick lag immer noch Wut – gepaart mit unsäglichem Schmerz.
5. Kapitel
Auch ist der Wind in ihren Lenden mehr feuriger wie luftiger Art. Ihm unterstehen zwei kleine Behälter, in die er hineinbläst wie in einen Blasebalg. Diese beiden Behälter umgeben den Stamm aller männlichen Kraft und helfen ihm geradeso wie kleine, neben einem Turm errichtete Bollwerke, die diesen verteidigen. Es sind deswegen zwei, damit sie desto wirkungsvoller jenen eben erwähnten Stamm umgeben, festigen und halten und mit um so größerem Nachdruck und in möglichst geeigneter Weise den vorgenannten Windhauch aufnehmen, an sich ziehen und ihn ebenmäßig wieder ausgeben, wie zwei Blasebälge, die gleichmäßig in das Feuer blasen. Wenn sie dann diesen Stamm in seiner Kraft aufrichten, halten sie ihn kräftig fest, und auf diese Weise grünt der Stamm in seiner Nachkommenschaft.
Von irgendwoher wehten auf- und abschwellende Stimmen. Emma glaubte eine Frauenstimme zu hören, die vorsang, dann fielen andere Frauenstimmen ein.
»Die Schwestern halten ihr Mittagsgebet«, sagte der Mann vom Klosterhof. Er war vorausgegangen in das Nebengebäude, vor dem Emma ihn das erste Mal gesehen hatte. Aufeinem Schild an der grobgefügten Mauer war zu lesen, dass es sich um das Gästehaus handelte.
»Sie hätten einfach zugesehen, wie die Katze überfahren wird, nicht wahr?«, stellte Emma fest.
»Jeder Mensch ist für seine eigenen Handlungen verantwortlich«, erwiderte er leichthin. »Sie können nicht verlangen, dass ich etwas tue, das Sie eigentlich von sich selber erwarten.«
Emma verbiss sich eine scharfe Bemerkung und folgte ihm. Der Mann hatte gegenüber dem Beamten einfach so getan, als ob sie zu ihm gehörte. Ein älterer, erfahrener Kollege hätte sie niemals gehen lassen. Doch das bestimmte und freundliche Auftreten des Mannes verunsicherte den jungen Beamten. Emma war sich nicht sicher, was er von ihr wollte. Aber sie hoffte, von ihm mehr über die Tote und den Mord zu erfahren.
»Es war doch Ihre Entscheidung, der kleinen Kreatur zu helfen, oder nicht?«, fragte er und lächelte. Emma musterte ihn nachdenklich. Er hatte freundliche Augen, fand sie.
»Sie wäre sonst in ihre Einzelteile zerlegt worden«, erwiderte sie.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte er. »Es wäre ein Ausweg für sie gefunden worden. So oder so.«
Im dunklen Gang blieb er vor einer der Zimmertüren stehen. Er zog einen Plastikchip aus der hinteren Tasche seiner Hose aus grobem Cord und hielt ihn vor einen silbernen Kasten. Eine kleine Kontrolllampe wechselte die Farbe, und ein metallisches Klacken war zu hören. Der Mann griff nach dem Knauf, stieß die Tür auf und trat einen Schritt zurück. Emma ging voran in einen Raum, in dem ein Bett, ein Schreibtisch und ein Schrank aus billigem Kiefernholz standen. Die Möbel waren links und rechts an den Wänden aufgereiht, die wie in einem Tunnel auf ein tiefliegendesFenster zustrebten. Emma trat an die Brüstung und spürte, wie sich beim Anblick des Rheintals ihre Brust weitete. Sie blickte auf windgepeitschtes Wasser und kahle Weinberge, die von Mauern durchzogen bis dicht unter die bewaldete Kuppe verliefen. Auf halber Höhe stach die mittelalterliche Burgruine Ehrenfels ihre Türme in den bewölkten Himmel.
»Markus Hertl«, sagte er hinter ihrem Rücken mit warmer Stimme.
Emma spürte, wie sich
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