Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Onkel hat gesagt, du hättest sein Auto genommen und wärst weggefahren, ohne ihm zu sagen, wohin«, sagte er und stand auf.
    »Ich bin zurückgekommen und habe mir ein paar Sachen geholt. Ich wohne eine Weile bei Wyatt«, erwiderte sie.
    »Bei Wyatt? Bist du verrückt?«
    »Es muss sein, Lucas.«
    »Sag diesen Arschlöchern von der Regierung, sie sollen dir den Buckel runterrutschen.«
    »Nicht so laut.«
    »Ich mein’s ernst, Sue Lynn. Lass dieses Zeug sausen. Wir leben in einem freien Land.«
    »Wir dürfen nichts mehr miteinander zu tun haben. Du musst dich damit abfinden.«
    Er starrte sie an, schaute dann auf eine tiefe, im Schatten liegende Kluft, die sich durch die Berge zog.
    »Komm mir nicht mit so was. Ich will das nicht hören«, sagte er.
    »Ich komme entweder in den Knast, oder ich werde umgebracht. Willst du, dass man dich ebenfalls umbringt?«
    »Komm raus zu Doc und rede mit Billy Bob.«
    »Versuch es doch zu verstehen. Ich muss eine Entscheidung treffen. Es geht um etwas, das mir schon die ganze Zeit zusetzt. Möglicherweise muss ich eine ganze Weile weg, wegen einer Sache, von der du nichts weißt.«
    »Wohin musst du?«
    Sie gab es auf.
    »Komm Wyatt nicht in die Quere«, sagte sie. »Dr. Voss hat Terry gerade vor einem Haufen Collegekids zurechtgestutzt. Terry ist Wyatts Schwuchtel. Das heißt, dass Wyatt irgendjemandem was antun muss, damit Terry das Gefühl hat, er ist wieder wer. So machen sie das hinter Gittern.«
    »Wen schert’s, was diese Typen machen? Die sind Abschaum ... Hey, hau nicht einfach so ab.«
    Aber sie rannte jetzt davon in ihren Mokassins, dem Trägerhemd und den Shorts, die am Hintern verschmiert waren, und aus irgendeinem Grund musste er an ein erschrockenes Reh denken, das durch den Wald preschte, wo die Bäume sein wild schlagendes Herz nicht zur Notiz nahmen.
    Der Himmel war immer noch blau und rosig und der Sommerabend voller Verheißungen, als Lucas, Temple, Doc, Maiseyund ich zwei Stunden später unsere Sachen in Temples Explorer luden, leicht benommen vom Bier und von der Sonne und ohne auch nur einen Gedanken an Terry Witherspoon zu verschwenden.
    Als wir uns an den anderen Autos auf dem Parkplatz vorbeischlängelten, schaute ich durch den dunstigen Staub und sah Wyatt Dixon vor dem weißen Wohnmobil mit Sue Lynn tanzen, die er sich wie eine Rinderseite auf die Schulter geladen hatte. Als sie sich aufrichten wollte, gab er ihr einen Klaps auf den Hintern und drehte sich immer schneller im Kreis, riss die Knie hoch wie ein Indianer beim Kriegstanz, während die Konföderierten-Flagge über ihnen flatterte.
    Lucas saß neben mir auf dem Rücksitz. Er bemerkte meinen Blick und versuchte, ihn zu verfolgen.
    »Schau, da oben über dem Hügel sind Adler«, sagte ich.
    »Wo?«, sagte er.
    »Sie fliegen dicht über den Bäumen, genau auf der anderen Seite vom Cañon«, sagte ich.
    Er blickte auf den Cañon, schaute dann aus dem Rückfenster.
    »War dahinten irgendwas?«, fragte er.
    »Nichts, an dem wir irgendetwas ändern könnten«, sagte ich.
    Tags darauf, am Sonntagnachmittag, saß Sue Lynn auf einem Felsen hinter Wyatts Blockhaus und sah zu, wie er und Terry selbst angebautes Gras rauchten und mit einem Beil auf eine Pappel warfen. Wyatt hatte sie nicht auf ihre Beziehung mit Lucas angesprochen, und er hatte sich weder gestern Abend noch heute Morgen an sie rangemacht. Er hatte ihr sogar eine Decke und ein Kissen gegeben und ihr gesagt, sie sollte auf der Hirschledercouch in seinem Wohnzimmer schlafen, währender sich ins Schlafzimmer zurückzog. Als sie im ersten Morgengrauen aufgewacht war, hatte er Kaffee gekocht und Eier für sie gebraten, hatte dabei ein Lied gepfiffen und ihr den bloßen Rücken zugekehrt, ohne auf die Kälte zu achten oder sich um die diversen geladenen Schusswaffen zu scheren, die an den Hirschgeweihen hingen und die sie jederzeit hätte nehmen und auf ihn abfeuern können.
    Aber sie kannte Wyatt und wusste, wie er dachte, falls »denken« der richtige Ausdruck dafür war. Er tat nie das, was andere erwarteten. Im Gegensatz zu Carl Hinkel und seinen glatzköpfigen Schaumschlägern hielt er anscheinend nichts von Ideologien und politischem Fanatismus. Er führte keinen Krieg gegen die Regierung oder gegen Menschen anderer Rassenzugehörigkeit. Er lag im Krieg mit der Menschheit oder besser gesagt mit dem, was die meisten Menschen unter Normalität verstanden. Wyatt war wie ein Virus, der die Antikörper des Immunsystems augenblicklich als