Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
Bürgerwehr, das so genannte Montana Vigilance Committee, das zweiundzwanzig Mörder und Wegelagerer gelyncht hat«, sagte er. »Die haben sie einfach an den Seidenholzbäumen und an den Dachsparren derScheunen aufgeknüpft, im ganzen Staat. Ich kann mir vorstellen, dass sich manch einer nach dieser guten alten Zeit zurücksehnt. Aber so läuft das nicht mehr. Bestellen Sie das Dr. Voss.«
Bestell’s ihm selber, Kumpel, dachte ich, als er mit wiegenden Schritten wegging, sodass sich die schwere Schusswaffe unter dem Schoß seiner Jacke abzeichnete.
Ich blieb eine ganze Weile bei Doc, der im Wartezimmer des St. Patrick’s Hospital von Missoula auf und ab ging und sich fortwährend in die Fäuste schlug.
»Mach mal halblang, Tobin«, sagte ich.
Er blieb stehen, aber nicht meinetwegen. Er horchte auf ein Gespräch, das draußen vor der Tür stattfand. Zwei Deputys in Uniform amüsierten sich über einen Witz der derberen Art, bei dem es um Notzucht ging, machten sich auf Kosten einer Frau lustig.
Doc trat auf den Flur hinaus.
»Habt ihr zwei nichts zu tun?«, sagte er.
»Was?«, sagte einer der beiden.
»Wir kommen hier allein klar«, sagte ich und baute mich vor den Deputys auf.
Der eine Deputy fasste den anderen am Arm, worauf die beiden gemeinsam zum Ausgang des Krankenhauses gingen.
»Ich spendiere dir drüben auf der anderen Straßenseite einen Kaffee«, sagte ich zu Doc.
»Ich gehe wieder in die Notaufnahme«, sagte er.
»Man hat dir gesagt, du sollst draußen bleiben. Warum lässt du die Leute nicht ihre Arbeit machen?«
»Wenn du mich noch einmal belehrst, Billy Bob, schlage ich dich nieder«, erwiderte er.
Ich konnte ihm seine Wut nicht verübeln. Er war ein tüchtigerMann, der seine Tochter liebte, und beide waren in eine Sache geraten, auf die für gewöhnlich eine langwierige, erniedrigende und schmerzhafte juristische Auseinandersetzung folgt, in deren Verlauf Opfer und Angehörige wie Nummern in einer Ermittlungsakte behandelt werden, bei der man sie jeglicher Privatsphäre beraubt und ihnen nicht selten den Eindruck vermittelt, dass sie irgendwie selbst an ihrem Schicksal schuld wären.
Ich ließ Doc allein und ging hinaus in die Dunkelheit. Die Ahornbäume standen in vollem Laub, die Luft war frisch und mit dem Rauch eines Grasfeuers oben an einem Hügel durchzogen. Kinder fuhren mit ihren Rädern auf dem Bürgersteig herum, und aus dem offenen Fenster einer alten, aus Ziegeln gebauten Pension drang der Kommentar zu einer Baseball-Übertragung von der Westküste. Es war eine Szene wie aus einem Gemälde von Norman Rockwell. Aber drinnen in der Klinik hing Maisey Voss an einer Kanüle, über die sie intravenös mit Morphium versorgt wurde, hatte am ganzen Körper rote und gelbe Blutergüsse, die bis auf die Knochen gingen, und der stinkende Atem ihrer Schänder hatte sich wie Spinnweben in ihrem Gesicht festgesetzt.
Ein paar Schritte entfernt sah ich L. Q. Navarro, der am Stamm eines Ahornbaums lehnte und sich eine Zigarette anzündete. Dunkel zeichneten sich sein in die Stirn geschobener Stetson und der schwarze Anzug vor dem erleuchteten Eingang zur Notaufnahme ab.
»Hast du gar nichts zu sagen?«, fragte ich.
»Ich würde in diesem Fäll die Kurve kratzen«, sagte er.
»Das war nie deine Art, L. Q.«, erwiderte ich.
»Doc hat die Biker raus gefordert, weil er über den Tod seiner Frau nicht wegkommt.«
»Man lässt seine Freunde nicht im Stich«, sagte ich.
»Er sagt doch, dass ihm Vietnam nicht gepasst hat? Vielleicht hat mein Gedächtnis ein bisschen gelitten, seit ich tot bin. Aber ich dachte, die SEALs waren Freiwillige.«
Bei einem Streit mit L. Q. zog ich immer den Kürzeren. Er zwirbelte die Enden seiner Zigarette zusammen, steckte sie in den Mund und riss ein Streichholz am Griff seines im Holster steckenden Revolvers an. Sein Gesicht und der Schnurrbart flackerten im Schein der Flamme auf, als er sie mit der hohlen Hand abschirmte.
»Hier geht’s nicht bloß um Biker. Was meinst du, warum dich der Sheriff an diesen versoffenen Krimiautor und seine Frau verwiesen hat, die Schauspielerin, wie heißt sie gleich, diejenige, die sich rüsselweise Koks reinzieht wie ein Ameisenbär?«, sagte L. Q.
»Bei der hob ich mir auch den Mund verbrannt.«
»Wollen wir weiter hier bleiben?«
»Ich geb dir Bescheid«, sagte ich.
Er zog an seiner Zigarette und blies den Rauch über die Fingerspitzen. Seine Augen funkelten in einem schwarzen Licht, die hageren, asketischen
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