Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
und schüttelte die Haare von der Brille. Dann warf er das Messer über die Schulter und versenkte es im Zaunpfosten. Sein Gesicht zuckte vor Lachen, als er hinging und es wieder herauszog.
In dieser Nacht hörte ich ein Auto, das über die Wiese hinter Docs Haus holperte, dann ein Scheppern, wie wenn Steine von unten an den Kotflügel knallen, und einen dumpfen Schlag bei den Bäumen unten am Fluss. Ich schloss die vordere Tür auf und ging barfuß auf die Veranda. Es war kalt, das Tal und die Klippen lagen im Mondschein, und ich sah einen Geländewagen auf einer Sandbank im Fluss stehen, dessen Wasser um die Räder strömte. Ein Mann watete von der Fahrertür aus zum vorderen Teil von Docs Grundstück. Der Mann stolperte und fiel ins Wasser, hielt aber die flacheGinflasche hoch, die er in der Hand hatte, damit sie nicht an den Steinen zerbrach. Das Wasser tropfte ihm aus der Kleidung und den dichten Haaren, als er sich im Mondschein ans Ufer schleppte. Kurz bevor er ins Gras sank und wegdämmerte, sah ich eine bandagierte Hand und das wilde, versoffene Gesicht von Xavier Girard.
Ich schloss die Tür und legte den Riegel vor, ging wieder schlafen und hoffte, dass die Sonne über einer besseren Welt aufgehen würde.
12. KAPITEL
Beim ersten Tageslicht schaute ich aus dem Fenster und sah ihn auf allen vieren am Fluss knien, wo er mit hohlen Händen Wasser schöpfte und trank. Als ich von hinten auf ihn zuging, wandte er langsam den Kopf um, als hätte er Schmerzen. Sein Gesicht war grau und verkatert, die Augen wirkten wie mit Jod eingefärbt.
»Wie bin ich hierher gekommen?«, fragte er.
Der Rauch von Lucas’ Frühstücksfeuer trieb zwischen den Bäumen hindurch über das dunkle Wasser. Ich sah Lucas ein Stück flussaufwärts in der Strömung stehen und eine Trockenfliege unter dem überhängenden Ufer auswerfen.
»Sieht so aus, als hätten Sie Ihren Jeep waschen wollen«, sagte ich. In Lucas’ Rucksack fand ich eine saubere Tasse und goss aus der Kanne, die auf dem Feuer stand, Kaffee ein, dann kauerte ich mich neben Xavier und reichte sie ihm. »Was macht die Hand?«, sagte ich.
Er schaute auf den schmutzigen Elastikverband, der wie eine zerfetzte Mumienbinde von seinen Fingern hing. »Ist nicht gerade ein schönes Gefühl, wenn man in meinem Alter ist und sich fragen muss, ob man für alle bloß noch der Prellbock ist«, sagte er.
Ich belastete den einen Fuß, hob einen kleinen, flachen Stein auf und schnippte ihn mit dem Daumen ins Wasser. »Warum sind Sie hierher gekommen, Sir?«, sagte ich.
»Ich weiß es nicht mehr genau. Gestern Nacht kam’s mir vermutlich völlig logisch vor«, sagte er.
Er wischte sich mit dem Ärmel das Wasser von der Stirn und tupfte den Mund ab. Seine Augen waren verquollen, als hätten ihn Bienen gestochen, und sein Atem roch wie Faulschlamm.
»Haben Sie schon mal dran gedacht, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen?«, sagte ich.
»Dort sind lauter Säufer«, sagte er.
»Das könnte schon möglich sein«, sagte ich und blickte ins Leere.
Er setzte sich auf einen Felsen und führte die Kaffeetasse mit beiden Händen zum Mund. Er versuchte zu trinken, bekam aber keinen Schluck hinunter. Er drückte den Handrücken an die Stirn. Seine Finger zitterten.
»Ich habe mit Holly drüber geredet, ob wir ein Spendenkonto für Docs Verteidigung einrichten sollen. Sie hat gesagt, das gehe uns nichts an«, sagte er. Der Fluss lag noch im Schatten, und er starrte hinauf zu Lucas, der seinen Köder in der Strömung auswarf, als ob ihn der Anblick eines jungen Mannes, der in Watstiefeln unter dem hellen Laubdach eines Waldes stand, an jemanden erinnerte, den er womöglich vor langer Zeit gekannt hatte.
»Vielleicht hat sie ihre Gründe«, sagte ich.
Er kippte seinen Kaffee zwischen die Felsen. »Sehen Sie hier irgendwo eine Ginflasche?«
»Sie liegt da drüben im Gras.«
Er ging zu der Flasche und schraubte den Deckel fest, kippte sie dann zur Seite und musterte den Inhalt.
»Ich geh jetzt besser«, sagte er.
»Kommen Sie wieder, wenn Sie mögen.«
»Holly macht sich Sorgen wegen der Finanzen. Ich bin mit ein, zwei geschäftlichen Sachen auf den Bauch gefallen. Sie denkt immer, wir müssen irgendwann den Offenbarungseid leisten. Deswegen ist sie viel konservativer als ich«, sagte er.
»Kann man nachvollziehen«, sagte ich.
»Vergessen Sie, dass ich hier war, ja, Mr. Holland?«
»Jederzeit«, sagte ich und schaute ihm hinterher, als er zu seinem Jeep Cherokee ging, die Finger
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