Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
willst.«
Ein betrunkener Cowboy, der vor uns stand, drehte sich grinsend um.
»Wie wär’s, wenn du dir das für später aufhebst«, sagte ich zu Temple.
»Meinetwegen«, erwiderte sie und trank einen Schluck aus ihrer Sodadose. Rote Streifen zogen sich über ihren Hals.
Ich berührte ihre Hand in der Hoffnung, dass sie mich wieder ansah. Doch sie reagierte nicht.
Das Publikum auf der zementierten Tanzfläche bestand hauptsächlich aus Arbeitern von der harten Sorte: Lastwagenfahrer, Cowboys, Holzfäller, indianische Gemüsebauern, Landarbeiter, Landwirtschaftsschüler, Frauen, die in der einen Hand ein Bier und in der anderen eine Zigarette hatten, sich gegenseitig mit dem Hintern anstießen, Kleinkriminelle mit Knasttätowierungen, Stripperinnen, die mit unverhohlener sinnlicher Freude für sich und ihre Geschlechtsgenossinnen tanzten, eine Gruppe Betrunkener, die mit einem Charterbus aus einem Saloon angekarrt worden waren und sich jetzt eine Schlägerei lieferten, sowie drei Indianer, die am Boden kauerten, eine Crackpfeife rauchten und ab und zu große weiße Rauchwolken ausstießen.
Dann sah ich meinen Sohn und Sue Lynn Big Medicine, die miteinander tanzten wie Kids Anfang der fünfziger Jahre. Sie trug einen schwarzen Cowboyhut, ein Jeanshemd, dessen Ärmel an den Achseln abgeschnitten waren, und eine schwarze Jeans, die um den Hintern eingestaubt war. Sie tanzte dicht vor Lucas, ohne ihn zu berühren, hatte das Kinn hoch gereckt, während ihr die mit blonden Strähnen durchzogenen Haare auf die Schultern fielen. Sie setzte bei jedem Taktschlag den Fuß zurück, doch ihr markantes Römergesicht wirkte verschlossen, auch wenn er sich vorbeugte, sodass sich ihre Hutkrempen streiften und sein Schatten über sie fiel wie einSchutzschirm, als wollte er sie den funkelnden Blicken ihrer Umwelt entziehen.
»Willst du überhaupt nicht mehr mit mir reden?«, sagte ich zu Temple.
Sie trank ihr Soda aus und stellte die leere Dose zwischen uns. Sie schien sich voll und ganz auf die Bühne zu konzentrieren. »War Haggard wirklich im Knast?«, sagte sie.
»Yeah. In Quentin oder Folsom.«
»Ich glaube, er ist nicht der einzige Knacki hier. Schau dir mal den Trupp neben der Bühne an«, sagte sie.
Drei Männer mit nackten Oberkörpern und kahl rasierten Schädeln, die Schnürstiefel mit Stahlkappen und Jeans ohne Gürtel trugen, standen am Rande der Zementfläche, tranken Dosenbier und beobachteten die Tänzer. Ihre Haut hatte die typische Knastblässe und war mit allerlei Hakenkreuzen sowie roten und schwarzen Eisernen Kreuzen übersät; die mit harten Muskeln bepackten Schultern und die schmalen Taillen deuteten auf eifriges Hanteltraining und Bankdrücken auf dem Gefängnishof hin. Alle hatten schüttere Schnurr- und Kinnbärte, sodass die zu einem anzüglichen Grinsen verzogenen Münder wie schmutzige Löcher in ihren bleichen Gesichtern wirkten.
»Ist der Typ dort Carl Hinkel?«, sagte Temple.
»Das ist er. Der George Lincoln Rockwell des Bitterroot Valley.«
Dann kamen zwei andere Männer aus dem Bereich, wo sich die Toiletten befanden, und stießen zu ihnen. Der eine war ein schlaksiger Junge mit Brille und einem schiefen Lächeln um den Mund, mit dem er seine Mitmenschen ständig beleidigen konnte, ohne sie so sehr herauszufordern, dass sie ihn in sämtliche Einzelteile zerlegten. Sein Begleiter hatte große, breite Zähne und nahezu farblose Augen; er trug ein geblümtes grünes Hemd mit roten Ärmelhaltern, einen auf Hochglanz gewienertenRodeogürtel mit Peitschenhalter um den flachen Bauch und neue, steife Jeans, die sich eng um seine Genitalien spannten.
Temple musterte meine Miene.
»Was ist denn los?«, fragte sie.
»Das ist Wyatt Dixon. Der kreuzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auf.«
Dixon hatte Lucas und Sue Lynn auf der Tanzfläche gesehen. Er steckte sich eine Zigarre in den Mund, riss ein Streichholz an seinem Daumennagel an und führte die Flamme in der hohlen Hand zum Gesicht, das im Schatten seines Hutes lag. Breitbeinig stand er da, rauchte und sah Sue Lynn mit belustigter Miene beim Tanzen zu. Dann ging er auf die Zementfläche und stieß mit den Schultern alle beiseite, die ihm zufällig in die Quere kamen.
Wann darf man als Vater in die Angelegenheiten seines Sohnes eingreifen, wenn man ihn damit womöglich um seine Selbstachtung bringt? Mir ist darauf noch nie eine Antwort eingefallen.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich zu Temple und stieg die Holztreppe zur Tanzfläche
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