Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
frage mich, was die wohl aussagen, wenn’s drum geht, wer wen angegriffen hat. Soll ich einen Zeitungsreporter herholen?«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Das ist keine Drohung, Mr. Rackley. Wenn Sie noch mal die Knarre auf mich richten, geht’s Ihnen dreckig.«
Er schleuderte mir die Zeitung ins Gesicht. Der Wind riss die Blätter auseinander und wehte sie den Weg entlang. Sein Agentenkollege räusperte sich und spie einen Schwall Blut auf den Zement, bückte sich dann, hob seine Automatik aufund steckte sie ins Holster. Auf seinem Nasenrücken war eine große rote Beule.
»Tut mir Leid, dass ich Sie verletzt habe«, sagte ich.
»Leck mich, du Pfeife«, erwiderte er.
Ich schob den .38er ins Holster. Ich sah, wie sein Blick zu meinem Gürtel wanderte.
»Er ist nicht verdeckt. Dafür brauche ich keine Zulassung. Willkommen in Montana«, sagte ich.
An diesem Abend nahm ich Temple zum Joan-Baez-Konzert in der Universität mit. Der Saal war gerammelt voll, die Luft stickig. Alle waren wild auf Joan. Im Publikum war auch George McGovern, den sie als alten Freund vorstellte. Sie schwitzte im Scheinwerferlicht, sodass ihr die Kleidung feucht an der Haut klebte. Schließlich strich sie sich mit dem Handgelenk verzweifelt über die Stirn und sagte: »Ich muss ehrlich mit euch sein. Mir ist in meinem ganzen Leben noch nie so heiß gewesen. Mir läuft der Schweiß regelrecht an den Beinen runter.«
Ein Mann, der auf der Empore stand, legte die Hände um den Mund und schrie: »Ist schon in Ordnung, Joan! Du bist trotzdem wunderschön!«
Die Menge tobte. Ihr Humor und ihre Anmut, ihre nach wie vor jugendliche Ausstrahlung ohne jede Bitterkeit und ihr geradezu unglaublicher Stimmumfang versetzten uns in eine Ära, die dreißig Jahre zurücklag. Zwei Stunden lang war es wieder wie einst im Jahr 1969, als die Blumenkinder barfuß auf dem Rasen des Golden Gate Parks getanzt hatten.
Aber in der zweiten Reihe, auf einem Stuhl unmittelbar am Gang, saß ein Mann mit Ärmelhaltern und einem hohen weißen Hut, um dessen Krone ein indianisches Band geschlungen war. Im Schein der Bühnenbeleuchtung wirkte sein Gesichtglatt wie feuchter Ton, makellos und schmal geschnitten. Er hatte die Kinnlade vorgeschoben und schaute mit fasziniertem Blick nach vorn, wie ein Besucher in einer fremden Welt.
Er klatschte weder, noch verzog er auch nur einmal die Miene, wirkte nur teils verdutzt, teils neugierig. In der Pause blieb er aufrecht wie ein Fels sitzen, sodass sich alle anderen mühsam an ihm vorbeizwängen mussten.
»L. Q. Navarro hat immer gesagt, es gibt zwei Sorten Amerikaner«, sagte ich zu Temple.
»Wie das?«, sagte sie und betrachtete die Musiker, die wieder auf die Bühne kamen.
»Die einen, die nur Gutes für die Welt wollen. Die anderen meinen, die Erde wäre dazu da, dass man sie des Profits wegen zugrunde richtet. Typen wie Wyatt Dixon sind die Speerspitze der Letzteren.«
»Willst du damit etwa sagen, dass er hier ist?«
Aber in diesem Moment ging der Mann mit dem hohen weißen Hut durch den Notausgang und ließ die Eisentür hinter sich zuknallen.
»Manchmal fehlt mir L. Q. einfach«, sagte ich.
Die Lichter gingen wieder aus, und Joan Baez trat ans Mikrofon und stellte ihre Nichte vor. Temple flüsterte mir hinter vorgehaltener Hand gerade irgendetwas über den Song »Silver Dagger« zu, als ich Cleo Lonnigan und ihren schwulen Zimmermann bemerkte, die drei Reihen vor uns saßen. Wie es der Zufall wollte, hatte sich Cleo umgedreht und blickte den Gang entlang, sodass ich ihr plötzlich ins Gesicht schaute.
Ich wollte winken, ließ es dann aber lieber sein.
»Ist irgendwas?«, fragte Temple.
»Nein«, erwiderte ich.
Aber sie verfolgte meinen Blick.
»Ach, da ist ja Dr. Pissnelke«, sagte Temple.
»Komm schon, Temple«, sagte ich.
»Glotzt sie uns immer noch an?«
»Nein.«
»Gut. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ich dachte, sie wäre unverschämt und müsste zurechtgewiesen werden.«
Temple blickte zur Bühne, als könnte sie kein Wässerchen trüben.
Als das Konzert zu Ende ging, wurde Joan Baez vom Publikum dreimal auf die Bühne zurückgeholt. Im Saal war es jetzt siedend heiß, und die Luft stank nach Schweiß und Körpergeruch. Als Joan endgültig die Bühne verließ, öffnete jemand eine Seitentür, worauf mit einem Mal kühle Luft in den Saal strömte. Ich legte die Hand auf Temples Arm und steuerte den Ausgang an.
Zu spät.
Cleo Lonnigans verstellte uns den Weg.
»Hat das kleine Pummelchen
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