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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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hatte mir vorgenommen, dich unauffällig von einem Arzt beobachten zu lassen, da in deiner Seele der Dämon des Wahnsinns herrschte: So dachte ich mir das. Ich fand für dieses Geschehen keine andere Erklärung. Der Mensch, der zu mir gehört, ist wahnsinnig geworden: Das wiederholte ich unablässig, hartnäckig, ja fast verzweifelt, den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag lang, und mit solchen Augen empfing ich dich, als du bei uns eintratest. Ich wollte die Menschenwürde bewahren, die Menschenwürde im allgemeinen und im besonderen, denn wenn du Herr deiner Sinne warst und einen Grund hattest - gleich welchen -, eine Waffe gegen mich zu erheben, dann hatten wir alle, die in diesem Haus lebten, unsere Menschenwürde verloren, Krisztina auch, ich auch. So erklärte ich mir auch Krisztinas erschrockenen, erstaunten Blick, als ich nach der Jagd vor ihr stand. Als ahnte sie das Geheimnis, das uns seit dem Morgen verband. Frauen spüren so etwas, dachte ich. Dann kamst du, im Abendanzug, und wir gingen zu Tisch. Wir plauderten wie an den anderen Abenden. Wir sprachen auch von der Jagd, von der Meldung der Treiber, von dem Fehler, den einer der Gäste gemacht hatte, der im wahren Sinn des Wortes einen Bock geschossen hatte, den er nicht hätte schießen dürfen ... Von den fraglichen Sekunden aber sagst du den ganzen Abend kein Wort. Du erwähnst dein eigenes Jagdabenteuer nicht, den verpassten kapitalen Hirsch. Von so etwas muß man reden, auch wenn man kein eingefleischter Jäger ist. Du sagst nichts davon, dass du das Wild verpasst und die Jagd vorzeitig verlassen hast und dann, ohne jede Erklärung, in die Stadt zurückgekehrt bist, um erst am Abend wieder aufzutauchen. Obwohl das alles ungewöhnlich ist, gegen die Spielregeln der Gesellschaft. Mit einem einzigen Wort könntest du doch den Vormittag erwähnen ... Aber du sagst nichts, als wären wir gar nicht zusammen auf der Jagd gewesen. Du sprichst von anderem. Du fragst Krisztina, was sie vorhin gelesen hat, als du zu uns in den Salon kamst. Es war ein Buch über die Tropen. Ihr sprecht lange über diese Lektüre; du fragst Krisztina nach dem Titel des Buchs, willst wissen, wie der Text auf sie gewirkt habe, lässt dir erzählen, wie das Leben in den Tropen ist, benimmst dich so, als interessiere dich dieses unbekannte Thema brennend - und ich erfahre erst später, vom städtischen Buchhändler, dass dieses Buch und noch andere zu diesem Thema von dir bestellt worden waren und dass du sie vor ein paar Tagen Krisztina ausgeliehen hast. Das alles weiß ich an dem Abend noch nicht. Ihr schließt mich von dem Gespräch aus, denn ich habe keine Ahnung von den Tropen. Später, als ich gemerkt habe, dass ihr mich an dem Abend hintergangen habt, denke ich an diese Szene zurück, höre die verklungenen Worte, und ich muß in ehrlicher Bewunderung zugeben, dass ihr perfekt spieltet. Ich, der Uneingeweihte, kann in euren Worten nichts Verdächtiges finden: Ihr sprecht von den Tropen, von einem Buch, von einer gewöhnlichen Lektüre. Du willst Krisztinas Meinung wissen, ganz besonders interessiert dich, ob ein Mensch, der in einer anderen Weltgegend geboren wurde und aufgewachsen ist, die Lebensbedingungen in den Tropen ertragen würde ... Was meint Krisztina? ... (Mich fragst du nicht.) Und ob sie, Krisztina persönlich, den Regen, den warmen Dunst, die erstickenden, heißen Nebel, die Einsamkeit mitten im Sumpf und im Urwald ertragen würde? ... Du siehst, die Worte kehren wieder. Als du das letzte Mal hier gesessen hast, in diesem Lehnstuhl, vor einundvierzig Jahren, da hast du von den Tropen, vom Sumpf, vom warmen Nebel und vom Regen gesprochen. Und vorhin, als du in dieses Haus zurückgekommen bist, da waren sie wieder, die Worte vom Sumpf, von den Tropen, vom Regen, vom heißen Nebel. Ja, die Worte kehren wieder. Alles kehrt wieder, die Dinge und die Worte gehen im Kreis herum, manchmal umkreisen sie die ganze Welt und treffen dann wieder an ihrem Ausgangspunkt ein und schließen etwas ab«, sagt er gelassen. »Das war es also, worüber du mit Krisztina zum letzten Mal gesprochen hast. Gegen Mitternacht verlangst du den Wagen und fährst in die Stadt zurück. Das waren die Ereignisse am Tag der Jagd«, sagt er, und in seiner Stimme klingt die Befriedigung des alten Menschen mit, dem ein genauer Vortrag, eine systematische, überschaubare Zusammenfassung gelungen ist.

15

    »Als du gegangen bist, zieht sich auch Krisztina zurück«, fährt er dann fort. »Ich

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