Die Glut
Wahn - doch diese Annahme ist so unwahrscheinlich, in unserem Leben zu dritt ist überhaupt keine Spur, kein Anzeichen davon, und so muß ich sie verwerfen. Ich kenne Krisztina, ich kenne dich, und ich kenne mich - zumindest glaube ich das. Unser aller Leben, unsere erste Bekanntschaft mit Krisztina, meine Ehe, unsere Freundschaft, das alles ist so offen, sauber, übersichtlich, die Personen und die Situationen sind so unmissverständlich, dass ich verrückt sein müsste, auch nur eine Sekunde lang so etwas zu glauben. Leidenschaften, und seien sie noch so verschroben, lassen sich nicht verheimlichen, eine Leidenschaft, die den Besessenen zwingt, eines Tages die Waffe gegen seinen besten Freund zu erheben, kann man nicht monatelang vor der Welt verstecken, irgendein Anzeichen hätte sogar ich, der ewig blinde und taube Dritte, bemerken müssen - wir leben ja fast zusammen, keine Woche vergeht, ohne dass du an drei, vier Abenden bei uns isst, tagsüber bin ich in der Stadt, in der Kaserne, im Dienst mit dir zusammen, wir wissen alles voneinander. Und Krisztinas Tage und Nächte, ihren Körper und ihre Seele kenne ich wie meine eigenen. Eine unsinnige Annahme, dass du und Krisztina ... Und ich bin beinahe erleichtert, als ich mir diese Annahme vor Augen halte. Da muß etwas anderes sein. Das Geschehene ist tiefer, geheimnisvoller, unverständlicher. Ich muß mit dir reden. Soll ich dich beobachten lassen? Wie der eifersüchtige Ehemann in der Komödie? Ich bin kein eifersüchtiger Ehemann. Der Verdacht vermag sich nicht in meinem Nervensystem festzusetzen, ich bin ruhig, wenn ich an Krisztina denke, die ich gefunden habe wie ein Sammler den Fund seines Lebens, das seltenste, perfekteste Exemplar seiner Sammlung, das Meisterwerk, Ziel und Sinn seines Daseins. Krisztina lügt nicht und ist nicht untreu, ich kenne alle ihre Gedanken, sogar die geheimen, die man nur im Traum denkt. Das in gelben Samt gebundene Tagebuch, das ich ihr in den ersten Tagen unserer Ehe geschenkt habe, erzählt alles, denn wir hatten abgemacht, dass sie mir und sich selbst auch von ihren Gefühlen und Gedanken berichtet, von Gefühlen, von Sehnsüchten, von den Nebenprodukten der Seele, von denen man nicht laut zu sprechen wagt, weil man sich schämt oder weil man sie als nebensächlich betrachtet: Das alles würde sie im Tagebuch andeuten, mir in ein paar Worten mitteilen, was sie unter dem Eindruck eines Menschen oder einer Situation dachte und fühlte ... So vertraut sind wir. Und das geheime Tagebuch liegt immer in der Schublade des Schreibtisches, zu dem nur wir beide einen Schlüssel haben. Dieses Tagebuch ist das Vertraulichste, was es zwischen einem Mann und einer Frau geben kann. Wenn es im Leben von Krisztina ein Geheimnis gibt, hätte es ihr Tagebuch schon angezeigt. Allerdings, fällt mir ein, haben wir seit einiger Zeit dieses heimliche Spiel vergessen ... Und ich stehe auf und mache mich im dunklen Haus auf den Weg in Krisztinas Arbeitszimmer, öffne dort die Schublade ihres Schreibtisches und suche das gelbe Tagebuch. Die Schublade ist leer.«
Er schließt die Augen, sitzt eine Weile so, mit ausdruckslosem Gesicht wie die Blinden. Er scheint ein Wort zu suchen.
»Es ist schon nach Mitternacht, das Haus schläft. Krisztina ist müde, ich will sie nicht stören. Wahrscheinlich hat sie das Tagebuch in ihr Zimmer mitgenommen, so denke ich es mir«, sagt er freundlich. »Ich will sie nicht stören, ich werde sie dann morgen fragen, ob sie mir in unserer geheimen Zeichensprache, mit dem Tagebuch, nicht etwas mitteilen wollte. Denn, weißt du, dieses vertrauliche Heft, von dem wir nicht sprechen - wir schämen uns ein bisschen voreinander für diese stumme Vertraulichkeit -, ist so wie ein sich wiederholendes Liebesgeständnis. Davon lässt sich nicht leicht sprechen. Es war Krisztinas Idee gewesen, sie hatte mich darum gebeten, in Paris, auf unserer Hochzeitsreise, sie war es, die Geständnisse machen wollte - und erst später, sehr viel später, als es Krisztina nicht mehr gab, habe ich begriffen, dass man sich nur dann so gewissenhaft auf ein Geständnis, auf äußerste Ehrlichkeit vorbereitet, wenn man weiß, dass es im Leben eines Tages tatsächlich etwas zu gestehen geben wird. Ich habe dieses Tagebuch lange nicht verstanden, hielt diese geheimen schriftlichen Botschaften, diese Morsezeichen aus Krisztinas Leben für leicht übertrieben, für die Laune einer Frau. Sie sagte, sie wolle nie vor mir Geheimnisse haben, und auch keine
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