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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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bleibe allein in diesem Zimmer. Sie hat das Buch, das in englischer Sprache geschriebene Buch über die Tropen, im Sessel liegenlassen. Ich habe keine Lust, schlafen zu gehen, und so greife ich nach dem Buch und blättere darin. Betrachte die Bilder, versuche mich in den Wirtschafts- und Gesundheitsstatistiken zurechtzufinden. Es überrascht mich, dass Krisztina solche Bücher liest. Das alles wird sie doch kaum etwas angehen, denke ich, die mathematische Kurve der Kautschukproduktion der Halbinsel kann sie doch nicht wirklich interessieren, sowenig wie der Gesundheitszustand der Eingeborenen. Das ist doch nicht Krisztina, denke ich. Aber das Buch spricht doch, und das nicht nur auf englisch und nicht nur von den Lebensbedingungen auf der Halbinsel. Wie ich mit dem Buch in der Hand dasitze, nach Mitternacht, allein im Zimmer, nachdem die beiden Menschen, die mir nach meinem Vater das meiste bedeuteten, fortgegangen sind, begreife ich mit einem- mal, dass auch das Buch ein Signal ist. Und ich ahne auch etwas anderes: An dem Tag haben die Dinge endlich zu mir zu sprechen begonnen, es war etwas geschehen, das Leben wurde beredt. In solchen Augenblicken muß man sehr achtgeben, denke ich für mich. Denn an solchen Tagen redet die seltsame Zeichensprache des Lebens in allem zu uns, alles macht uns aufmerksam, alles ist Hinweis und Symbol, man muß es nur verstehen. Eines Tages sind die Dinge herangereift und kommen zu Wort. So denke ich es mir. Und ich verstehe plötzlich, dass auch dieses Buch Zeichen und Antwort ist. Es sagt: Krisztina möchte weg von hier. Sie denkt an fremde Welten, also will sie etwas anderes als diese Welt. Vielleicht will sie von hier fliehen, vor etwas oder vor jemandem - und dieser jemand kann ich, kannst aber auch du sein. Es ist sonnenklar, denke ich, Krisztina spürt und weiß etwas, und sie will weg von hier, und deswegen liest sie ein Fachbuch über die Tropen. Ich spüre vieles, und mir scheint, ich verstehe es auch. Ich spüre und verstehe, was an dem Tag geschehen ist: Mein Leben hat sich zweigeteilt, wie eine Landschaft, die ein Erdbeben entzweireißt - auf der einen Seite die Kindheit, du und alles, was die Vergangenheit bedeutet hat, auf der anderen Seite ein dämmriger, unübersehbarer Raum, den ich durchwandern muß: der verbleibende Abschnitt des Lebens. Und die beiden Lebensabschnitte berühren sich nicht mehr. Was ist passiert? Ich vermag es nicht zu sagen. Den ganzen Tag hatte ich mich bemüht, ruhig und diszipliniert zu erscheinen, und das war auch gelungen; Krisztina konnte noch nichts wissen, als sie mich blass und mit jenem merkwürdig fragenden Blick ansah. Sie konnte nicht wissen, nicht von meinem Gesicht ablesen, was auf der Jagd geschehen war ... Und wirklich, was war geschehen? Bilde ich mir das alles nicht einfach ein? Ist das Ganze nicht ein Hirngespinst? Wenn ich es jemandem erzähle, lacht der mich wahrscheinlich aus. Ich habe nichts, keinen Beweis in der Hand ... Bloß dass eine Stimme, die stärker als alle Beweise ist, ganz unmissverständlich, ganz unanfechtbar, ganz unbezweifelbar in mir ruft, dass ich mich nicht täusche, dass ich die Wahrheit weiß. Und die Wahrheit besteht dann, dass mich mein Freund in der Morgenfrühe töten wollte. Was für eine lächerliche, aus der Luft gegriffene Anklage, nicht wahr? Kann ich diese Gewissheit, die fürchterlicher ist als die Sache selbst, jemals einem Menschen erzählen? Nein. Jetzt aber, da ich diese Gewissheit habe, mit einer Sicherheit und Ruhe, wie man nur die einfachen Sachverhalte des Lebens kennt, wie soll ich mir unser künftiges Zusammenleben vorstellen? Kann ich dir in die Augen blicken, oder sollen wir alle drei, Krisztina, du und ich, das Spiel spielen, unsere Freundschaft zu Theater und gegenseitiger Beobachtung machen? Kann man so leben? Wie gesagt, ich denke, dass du vielleicht wahnsinnig geworden bist. Vielleicht ist es die Musik, denke ich. Man ist nicht ungestraft Musiker und ein Verwandter von Chopin. Gleichzeitig aber weiß ich, dass diese Hoffnung dumm und feige ist: Ich muß der Wahrheit ins Auge blicken, ich darf mir nichts vormachen, du bist nicht wahnsinnig, es gibt keine Entlastung, keine Ausflucht. Du hast einen Grund, mich zu hassen und mich töten zu wollen. Diesen Grund vermag ich nicht zu begreifen. Es gibt eine natürliche und einfache Erklärung dafür, nämlich dass du einer plötzlichen, sehnsüchtig schwärmerischen Leidenschaft für Krisztina erlegen bist, und auch das wäre eine Art

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