Die Godin
rausgekonnt.«
Urban verstand.
»Zuvor muß er dem aber noch eine eingeschenkt haben«, erzählte Schoos, »die ganze Straße ist voller Blut gewesen.«
»Aber er ist ausgekommen«, stellte Urban mit unterdrücktem Zorn fest. Er hieb mit der Faust in seine geöffnete Hand.
»Das muß der Kaiser sein«, wütete er, »treibts mir den Kaiser auf!«
»Der Kaiser? Aber ich hab gehört…«
»Hast du gehört!« fauchte Urban. »Ich will nicht wissen, was einer gehört hat, ich will wissen, was ist! Es kann kein anderer gewesen sein. Wer soll es sonst gewesen sein? Die vom Ostbahnhof vielleicht? Die genieren mich nicht, die genier ich nicht. Nein - nur der Kaiser hat einen Grund. Solang der lebt, denkt der bloß an eines: Wie er sich an mir revanchieren kann!« Er sah in die Runde. »… Und an euch.« Sein Blick fiel auf Schoos. Er sprang bebend auf. »Schau nicht so blöd, Schoos!« rief er unbeherrscht.
»Ich schau doch nicht!« protestierte dieser zornig. Urban winkte fahrig ab.
Schoos griff unter sein Revers. »Du Fritz - da ist ein Brief abgegeben worden.« Er reichte Urban einen Umschlag.
»Was sagst des erst jetzt?« Er nahm ihn mit einer unbeherrschten Bewegung an sich. Der Brief war in München abgestempelt worden. Ein Absender fehlte. Urban riß den Umschlag auf und las. Der Papierbogen zitterte leicht.
»Was ist?« fragte Kandl beunruhigt.
Urban schien sich wieder im Griff zu haben. »Nichts«, sagte er beiläufig, »das Übliche. Kommts mit zu mir ins Büro. Es gibt eine Arbeit.«
Schoos hatte ihn beobachtet.
»Noch eine Front, Fritz?« fragte er boshaft. Urban sah ihn wütend an. »Halts Maul«, knurrte er und ging voraus.
Die Sonne strahlte sonntäglich. Einmal blendete sie unerträglich, dann wieder, wenn die Gleise durch ein Waldstück führten, durchströmten blinkende Flicken das Abteil, die jedoch bald von einer vorbeijagenden Wand aus schwarzen Büschen und Bäumen verschluckt wurden. Die Räder schlugen in trockenem Takt an die Gleisnähte. Eilte der Zug zwischen den steilen Böschungen der Hügelkerben dahin, dann schwoll ihr ermüdend gleichförmiges Pataklong-pataklong-pataklong zu betäubendem Getöse an, um jedoch beim Eintritt in das sanft gewellte, von vielfarbigen, rechteckigen Flächen bemalte Land sofort wieder abzuschwächen. In hellen, heiteren Linien hoben und senkten sich die Hügel. Gemächlicher veränderte sich auch der Horizont.
Kajetan genoß die Fahrt. Nur noch kurz rätselte er darüber, warum er Fleischhauer nicht angetroffen hatte. Er hatte mehrmals zur verabredeten Zeit geläutet, doch die Tür der Detektei war verschlossen geblieben. Kajetan war nicht unglücklich darüber gewesen, denn bei diesem Treffen hätte er dem alten Detektiv reinen Wein einschenken müssen. Und vermutlich hätte dies wieder einmal mit dem Verlust seiner Stelle geendet.
Nach mehr als einer Stunde Fahrt war er eingedöst. Plötzlich veränderte sich das Fahrgeräusch; es wurde zu einer pulsschnellen Abfolge trocken knallender Schläge. Kajetan erwachte und sah verwirrt aus dem Fenster. Der Zug schien durch die Luft zu fliegen. Er stand auf und blickte nach unten.
Der breite Fluß wälzte sich behäbig unter der hohen Eisenbahnbrücke nach Norden. Der Zug verlangsamte die Fahrt.
»Sarzhofen - Bahnhof!« Der Zug kam stampfend zum Stehen. Kajetan stieg aus. Der einsam auf einer Anhöhe über dem Inn liegende Bahnhof lag verlassen im vormittäglichen Licht. Kajetan sah sich verwundert um. Diese wenigen Häuser - hier sollte Sarzhofen sein?
»Nein. Das ist bloß der Bahnhof«, erklärte die Kellnerin eines Gasthofs, den Kajetan schließlich entdeckt hatte. »Da drüben liegt Sarzhofen, auf der anderen Seite. Sehens?« Sie war mit ihm vor die Tür getreten und hatte auf eine Anhöhe des gegenüberliegenden Flußufers gewiesen. Unter der steilen Böschung eines von einem Schloß gekrönten, fernen Hügels waren im diesigen Glast der Sonne die breiten, kaikgelben Fassaden eines Klosters zu erkennen, zu dessen Füßen das grau und ziegelbraun gefleckte Dorf lag.
Die Kellnerin sah ihn bedauernd an.
»Jetzt ist grad gar keiner da, der Sie mitnehmen könnt. Alles ist auf dem Feld.«
Sie beschrieb ihm den Weg. Kajetan ging den Schotterweg ins Flußtal hinab, überquerte die Innbrücke und stieg zum Ort hoch.
Nachdem er ein Zimmer im Gasthof »Nauferger« bezogen hatte, bestellte er etwas zu essen.
Eine mühsam verhohlene Neugier stand dem Wirt ins Gesicht geschrieben, als er einen
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