Die Godin
Teller mit dampfendem Geröstl brachte.
»Einen recht guten Appetit, Herr! - Was, ah, führt den Herrn denn zu uns außer, wenn man fragen darf?« Er erklärte, warum ihn das interessiere, denn eigentlich sei er kein neugieriger Mensch: »Weil, eine Sommerfrische gibts bei uns an und für sich nicht. Die Leut wollen alle in die Berg. So was haben wir hier nicht.«
Kajetan kaute zu Ende. »Eine traurige Angelegenheit«, sagte er.
»Ah was?!« Der Wirt rückte näher an ihn heran.
»Ich bin Nachlaßagent bei einem Notar in München. Vielleicht können Sie mir gleich helfen.«
»Wenn ich kann? Um was gehts denn überhaupt?«
»Ich muß zwar nachher eh gleich zum Gemeindeamt. Aber…«, er führte wieder einen Bissen zum Mund und kaute genüßlich, »… ich bin auf der Suche nach Angehörigen der verstorbenen Maria - oder Mia - Aichinger.«
»Lassen Sie es sich schmecken - Aichinger Veronika, meinens doch bestimmt?«
Kajetan verneinte. Er wiederholte Mias Namen.
Die Lider des Wirts zwinkerten ungläubig. »Das muß dann die Tochter gewesen sein! Aber… die soll doch vor ein paar Tagen noch da gewesen sein.«
»Sie ist hier gewesen?« Kajetan tat unbeteiligt.
Der Wirt nickte ein paarmal. »Ja. Ich selber hab sie zwar nicht gesehen und hätt sie wahrscheinlich auch gar nicht mehr erkannt. Aber die Totenpackerin hat erzählt, daß sie zum Grab von der Vroni, also ihrer Mutter, gekommen sei.«
»Die wer?«
»Die Totenpackerin - Leichenfrau heißts, glaub ich, bei Ihnen droben. Also die hat erzählt: Die Mia hätt bei der Gemeinde vorbeigeschaut und wäre danach auf den Friedhof gegangen, hat sie gesagt, und ist danach gleich wieder heimgefahren. Aber sagens - und der Vroni ihre Tochter, die ist jetzt auch gestorben? Lügens mich nicht an? Ist das wahr? - Entschuldigens, ich wollt nicht sagen, daß Sie…«
»Schon recht. Aber es ist leider wahr. Wissen Sie, wo ihre Angehörigen leben?«
Das Gesicht des Wirts kam näher. Er neigte den Kopf, als wolle er besser hören.
»Ist da vielleicht ein Geld da?«
»Sie verstehen, daß ich darüber keine Auskunft geben darf, Herr Wirt.«
Kajetan aß weiter. Der Wirt sah ihm nachdenklich zu.
»Jaja. So was… also, Angehörige, da werdens kein Glück mehr haben. Es gibt keine mehr. Die Mutter ist erst vor guten acht Wochen eingegraben worden.«
»Und der Vater?«
»Habens nicht… freilich, Sie können ja nichts davon gehört haben, wenns nicht von da sind. Aber da ist doch die Gaudi im Zuchthaus gewesen.«
Kajetan senkte die Gabel. »Zuchthaus? Der Vater war im Zuchthaus? Warum?«
»Er hat einen erstochen, der Aichinger Marti. Lang vor dem Krieg.«
»Und was ist da gewesen, im Zuchthaus?«
»Es hat gebrannt. Kein Mensch weiß bis heut, was wirklich geschehen ist. Die Leut sagen, der Zuchthauswärter hat ihn umgebracht, den Marti…«
»Der Vater ist auch tot?«
»So tot wies nur grad geht, Herr. Verbrannt bis zum Nicht-mehr-zum-Erkennen. Zwei oder drei andere sind bei dem Brand auch noch erstickt.«
»Und der Wärter soll ihn umgebracht haben? Eigenartig.«
»So sagen die Leut, weil der Wärter seitdem nicht mehr gesehen worden ist. Er soll mit dem Marti einen Streit gehabt haben. Aber keiner weiß, was wirklich passiert ist. Der Wärter ist jedenfalls seitdem auch verschwunden. Er hat ein schlechtes Gewissen, heißt es überall.«
Kajetan kaute nachdenklich. Der Wirt sah aus dem Fenster und seufzte.
»Das war eine furchtbare Sach damals, wie der Marti den Eglinger erstochen hat, ja. Kein einziger hat sich vorstellen können, daß es ausgerechnet der Marti gewesen sein soll. Jeder hat ihn für unschuldig gehalten, keiner hats ihm zugetraut. Aber - er hat es ja selber zugegeben.« Er schüttelte den Kopf, als könne er immer noch nicht begreifen, was Mias Vater zu dieser Tat getrieben haben könnte.
»Der Doktor hats auch gar nicht glauben können«, fuhr er fort, »der Doktor Urban, den werdens nicht kennen. Bei dem ist der Marti als Jagdhelfer angestellt gewesen. Der hat ihm sogar noch einen guten Anwalt gestellt, wie die Sach vors Gericht gekommen ist. Weil er mit dem Marti immer zufrieden gewesen ist, hat er gesagt. Sie, der ist nobel gewesen, der alte Doktor. Es hat ihm viel Ansehen eingebracht seinerzeit. Aber er ist auch schon lang unter der Erd.«
Kajetan hatte sich gerade die Gabel zum Mund führen wollen. Er hielt inne und sah den Wirt von der Seite an. »Doktor Urban? Ist das der… hat der vielleicht einen Sohn gehabt?«
Er bemerkte einen
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