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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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einen Bierkrug füllte, wies er mit einer Kopfbewegung in die Richtung der anderen Straßenseite.
    »Vielleicht kann man Ihnen auf der Gemeinde helfen. Die ist gleich vis-á-vis.«
     
     
    Kajetan hatte zunächst versucht, die Leichenfrau auf dem Friedhof anzutreffen. Man wisse nicht, wann sie heute käme, wurde ihm gesagt, er solle es später noch einmal probieren. Irgendwann müsse sie auftauchen, weil doch die alte Reither-Lis, die vorgestern der Schlag getroffen habe, für die Beisetzung gerichtet werden müsse. Er ging in den Ort zurück.
    Das zweistöckige Gemeindehaus lag am Marktplatz. Vor hundert Jahren, als die Innschiffahrt noch Reichtümer in den Ort brachte, als hochbeladene Roßplätten und Klobzillen aus dem Engadin am unteren Stock anlegten, mußte es bessere Zeiten gesehen haben.
    Der dämmerige Raum, den er wenig später betrat, übertraf alles, was er je in seinem Leben an Durcheinander gesehen hatte. Hinter einem grau bestäubten Schreibtisch, auf dem sich Papierbündel, großflächige Flurpläne und dicke Folianten stapelten, tauchte ein etwa sechzigjähriges, schmächtiges Männchen auf. Eine langstielige Pfeife, an der der Mann schmatzend zog, hing aus seinem Mund. Als er den Mund zum Gruß öffnete, sah Kajetan, daß er das Mundstück in eine Zahnlücke des Unterkiefers eingehakt hatte. Er blinzelte nervös, als ihm Kajetan den Grund seines Aufenthalts erklärte und ihn fragte, ob sie auch bei ihm gewesen sei. Der Gemeindediener erinnerte sich an sie. Ja, sie sei hier gewesen. Und, was? Auch sie sei gestorben? Welcher Verdruß.
    Er sah auf den Tisch. »Dann ist das wahrscheinlich in dem Brief gestanden, wo ich noch gar nicht dazu gekommen bin, ihn aufzumachen«, sagte der Gemeindediener zerstreut, »da ist was gewesen, da ist doch neulich ein Brief gekommen. Wo hab ich ihn denn?« Er beugte sich tief über den Tisch und stöberte fahrig in einem Stapel schlampig übereinandergelegter Schriftstücke, wobei er mit seiner Pfeife an einen dicken Folianten stieß und sich rußige Tabakkrümel über die Papiere verteilten, die er mit einer nervösen Handbewegung wegzuwischen versuchte. Schließlich gab er es auf. Kajetan wies ihn darauf hin, daß er lediglich wissen wolle, ob es im Ort noch Verwandte der Verstorbenen geben würde.
    »Ah ja. Momenterl! Ein Griff!« Er wandte sich mit einer rasehen Bewegung um und hob die Hand. »Bei uns ist nämlich eine Ordnung!« Er zog einen zu einem Packen verschnürten Papierstapel hervor und legte ihn auf einen Tisch, nachdem er seine Arbeitsschürze gehoben und mit ihr den Staub abgefegt hatte. Er öffnete die Kordel. Wieder flatterten seine hageren Finger über die Schriftstücke. Er beugte sich tiefer, schimpfte hilflos, legte den Akt wieder zusammen, knotete die Schnur und verstaute ihn wieder im Schrank. Auch ein zweites Bündel brachte kein Ergebnis. Schließlich sah er entschlossen auf.
    »Ah, das ist jetzt grad doch nicht da. Aber das macht nichts. Ich hab nämlich…«, er tippte an seine Schläfe, »… alles da herinn. Ich kann mich auch deshalb gut daran erinnern, weil ich wegen der Aichinger Veronika, der Mutter, schon nachgeschaut hab. Bezüglich weiterer Verwandter gibt es keine Unterlagen. Die Eheleute Aichinger, Marti und Veronika, sind zugezogen. Von Schärding.«
    »Nicht aus Simbach?«
    »Von Simbach, meinens? Ja, habens recht. Simbach! Sie, die Vroni, die war von Schärding. - Sie! Da kommt mir grad was!« Er hob den Finger. »Jetzt fallt mir wieder ein, was ich gesucht hab. Weil Sie grad da sind. Das Wohnrecht auf dem Häusl müßt ich ja längst austragen. Wo hab ich denn den Kataster hingelegt?«
    Mit schräggestelltem Kopf ging er vor einem Schrank auf und ab.
    »Was für ein Wohnrecht?« fragte Kajetan.
    Er drehte sich wieder um. »Die Aichinger Vroni hat ein Wohnrecht gehabt im Haus vom Doktor Urban, das heißt, es gehört schon seit einiger Zeit dem Herrn Doktor vom Sanatorium in Allerberg. - Ah!« Triumphierend zog er ein Papierbündel aus dem Fach.
    Kajetan hob erstaunt die Augenbrauen. »War das ein Wohnrecht auf Lebenszeit?«
    »Jawohl, Herr. Für den Aichinger Martin, seine Ehefrau, die Vroni…« Der Gemeindediener sah auf die Urkunde. Er beugte sich tiefer und sog an der Pfeife.
    »… Und für die Tochter also auch. Das kann ich dann gleich mit austragen, das ist dann ja erloschen.« Er suchte vergeblich nach dem Federhalter. »Der Doktor wird sich freuen. Er wollt das Häusl ja schon längst verkaufen, aber wegen dem

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