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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hueltner
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sollte, und setzte sich auf die Bank.
    »Ist… ist die Mühle schon lang außer Betrieb?«
    Sie neigte den Kopf zur Seite, als würde sie nicht mehr gut hören können. Schließlich schien sie verstanden zu haben.
    »Tragt längst nimmer«, antwortete sie.
    Kajetan nickte verstehend.
    »Das ist schad«, sagte er. Sie sah auf ihren Schoß.
    »Müllnerin, du hast die Aichinger Mia doch gekannt, gell?«
    Sie drehte den Kopf, als könne sie so besser hören. »Wen?«
    Kajetan wiederholte den Namen. Sie schob ihr Kinn nach vorne und blickte zur Decke. Sie schien sich zu erinnern.
    »Ja… die hab ich gekannt«, sagte sie mit unbeteiligter Stimme.
    »Ist es denn wahr, daß der Vater ein Zuchthäusler gewesen ist?«
    Sie führte einen Finger an ihr Ohrläppchen. »Ob es wahr ist, daß der Vater im Zuchthaus gewesen ist!« rief Kajetan. Sie nickte trübe. »Er hat büßen müssen, ja…«
    »Aber gleich so lang! Zwanzig Jahr!«
    »Lang, ja…«
    »… Und die Leut sagen auch, daß es ihm keiner zugetraut hätte.«
    Sie zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster.
    »Er hat büßen müssen«, wiederholte sie mit einfältiger Demut, »es kommt alles, wies kommen will«, sagte sie leise, »… wies der Herrgott halt will.«
    »Und seinem Kind, der Mia, ist es ja auch nicht so gut ergangen.«
    Sie neigte wieder den Kopf. »Jaja… die Mia… ein braves Kind ist das.«
    Ist das? Wußte sie womöglich noch nicht, daß Mia tot war? Sollte er es ihr sagen? Kajetan war unschlüssig.
    »Es geht ihr nicht so gut«, wiederholte er. Es schien sie wenig zu berühren.
    »Man kann sich nicht so umtun um die Kinder von andere Leut. Was anderes ist, wenn eins zur Familie gehört.«
    Kajetan senkte enttäuscht den Kopf. Mia schien sehr wenig Glück im Leben gehabt zu haben, und auch mit dieser Godin hatte sie kein großes Los gezogen. Aber vielleicht war die Alte bereits zu hinfällig, um zu begreifen, was um sie herum vor sich ging.
    »Ist sie bei dir gewesen vor ein paar Tagen?«
    »Was?«
    Kajetan wiederholte die Frage lauter. »Die Mia? Nein. Die hab ich zuletzt als ein kleines Dirndl gesehen.«
    Ein kindisches Grinsen zog über ihr Gesicht. »Sie fragen fei wie ein Gendarm«, kicherte sie, »sinds epper gar einer?« Kajetan wies es weit von sich. »Was sinds denn dann?«
    Kajetan zögerte, doch dann erzählte er seine Geschichte von Mias angeblichem Nachlaß und daß er auf der Suche nach Angehörigen sei.
    »Nachlaß? Das… versteh ich nicht, Herr«, sagte sie. »Was?«
    »Ich versteh es nicht.« Sie sah ihn dümmlich an. Ihre Lippen bewegten sich, als versuche sie, eine Frage zu formulieren. Doch schließlich schien sie selbst die Antwort gefunden zu haben.
    »Sie lebt nimmer«, stellte sie fest.
    Kajetan nickte. »Sie hat sich vergiftet.«
    »Vergiftet«, sagte sie tonlos. »Die Mia lebt nimmer…«
    »Aber das macht dir ja nicht soviel aus. Sie ist ja ein Kind von anderen Leuten, gell?« sagte Kajetan halblaut.
    Sie schüttelte stumm den Kopf. Kajetan stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um.
    Die Müllerin saß mit gefalteten Händen in ihrem Sessel. Sie sah ihn nicht an.
    »Es kommt alles, wies kommen muß«, wiederholte sie einfältig.
    »Sonst fällt dir nichts dazu ein, Müllnerin?«
    »Was soll mir einfallen, Herr?« antwortete sie dumpf. »Der Mensch kann da nichts machen. Es kommt alles, wies kommen muß… und wies der Herrgott für uns einrichtet…«
    Sie sah auf und lächelte hilflos.
    Die Wut auf den gottgläubigen Fatalismus der Alten schwächte Kajetan. Er stand müde auf und verabschiedete sich grußlos. Er würde nur noch mit der Totenpackerin sprechen und dann wieder nach München zurückkehren.
     
     
    Während Kajetan schweratmend und schwitzend den steilen Weg von der Mühle zum Markt emporging, schrillte das Telephon des Gemeindeamtes. Der Gemeindediener, der gerade gehen wollte, weil auf dem heimatlichen Hof ebenfalls noch Arbeit auf ihn wartete, nahm verärgert den Hörer ab.
    Die Bezirksinspektion der Gendarmerie Ödstadt meldete sich und bat um eine Auskunft.
    »Wenns schnell geht, von mir aus. Was wollens denn wissen?« Der Gemeindediener hakte die Pfeife aus der Zahnlücke. »Ob der Aichinger Martin im Jahr Elf geheiratet hat? - Der Marti? Muß ich nachschauen - Halt! Schmarren, das brauch ich gar nicht. Das kann ja gar nicht sein, der hat längst vorher geheiratet. Im neunundneunziger Jahr war das. Außerdem - im elfer, da war er längst im Zuchthaus. Müssens es genau

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