Die Godin
Bei der da helfen nur die guten alten Methoden!«
»Und er hat Ihnen zustimmen müssen!«
Ein bitterer Zug spielte um den Mund des Wärters. »Nicht immer gilt Erfahrung, Herr! Erst mal, meinte er, würde er es mit der Jauregg-Methode ausprobieren. Er hätte davon gelesen und wolle sie einmal erproben.«
»Welche Methode?«
»Eine Infizierung mit Malaria-tertiana- oder Tubercullin-Bazillen, die ein künstliches Fieber erzeugen, das schließlich mit Chinin wieder niedergeschlagen wird.«
»Das… das soll helfen?« fragte Kajetan entgeistert.
»Natürlich nicht! Er hat sich getäuscht, der Herr Doktor!« triumphierte der Alte. »Statt daß diese Behandlung auf Dauer angeschlagen hätt, ist es von Monat zu Monat schlimmer mit ihr geworden. Sie hat um sich hauen können, da hab ich nicht bloß einmal einen blauen Fleck mit heimgebracht! Bis dann der Doktor endlich eingesehen hat: Jetzt muß eine andere Methode angewandt werden.«
»Weshalb war sie denn so renitent?«
»Sie wollt unbedingt raus! Hat allerweil was von einer Tochter erzählt, auf die sie Obacht geben müßt. Und ihren Mann müßt sie aus dem Zuchthaus holen! Sie tat auch schon wissen, wie sie das anstellen würde. Da hab ich gesagt: Vroni, bevorst probierst, daß deinen Mann aus dem Zuchthaus holst, müßtest erst einmal selbst da rauskommen! Ha! hats bloß gelacht.«
»Ist sie einmal abgehauen?«
»Zwei- oder dreimal schon. Aber schon ein paar Stunden später hat sie ein Bauer wieder retour gebracht. Sie hätts dann noch ein paarmal probiert, bis der Doktor narrisch geworden ist und zu mir gesagt hat, daß das ein Fall für den Tranquillizer ist.«
»Für den - was?«
Der Wärter genoß die Rolle des Experten. »Das ist eine alte und sehr bewährte Methode. Eine Art Drehstuhl, vielleicht können Sie sich das dann besser vorstellen. Da wird der Patient draufgebunden, ich dreh eine Kurbel, und der Stuhl rotiert immer schneller um die eigene Achse. Erst wird noch geschrien wie wild, aber am End sinds alle ganz still. Die Achingerin wars auch. Ganz still wars auf einmal, fast zu still. Jahrelang haben wir kein Geschiß mehr mit ihr gehabt.«
»Ist das… eine gebräuchliche Methode, dieser Stuhl?«
»Durchaus. In den neueren Häusern allerdings, da wird recht drauf geschimpft. Aber wennst genau hinschaust: Die bringen auch nichts Besseres zuweg. Nein - unser Doktor kennt da jetzt nichts mehr. Wenn einer zu aufsässig wird, dann gehts in den Keller. Das ist der Vorteil, wenn ein Haus privat ist. Da gibts kein Hineinreden, von wegen neue Methoden und so.«
»Das versteh ich«, log Kajetan, »aber woran ist sie dann eigentlich verstorben? Ich mein, angehen tuts mich ja nichts. Nur der Neugier halber. Ich interessier mich nämlich privat für das Thema.«
»Die Aichingerin? Woran die gestorben ist? Einmal gehts doch mit jedem zu End, oder nicht?«
»Aber sie war doch noch keine fünfzig Jahre alt.«
Der Wärter schnaufte ungeduldig. Er warf einen Blick auf die Uhr, die über der Tür hing, und schüttelte den Kopf.
»Er müßte schon da sein. Entschuldigens.«
»Macht gar nichts. Es ist recht interessant, was Sie über Ihre Erfahrungen erzählen. Man hört ja draußen nichts davon.«
»Das ist wahr«, sage der Alte geschmeichelt. »Nichts wissen die Leut, gar nichts.«
Der Alte erzählte nun, daß die Kranke vor etwa einem Jahr plötzlich aus ihrer Apathie erwacht sei. Warum, habe sich keiner erklären können. Eine Aushilfsschwester habe damals angegeben, daß es damit zusammenhängen könne, daß sie im Park von einem spielenden Kind angesprochen worden sei, dessen Eltern einen Patienten besuchten. Das Kind sei erschrocken davongelaufen, als die Kranke zu weinen begonnen hatte. Andere vermuteten, daß ein vorheriger schwerer Sturz dafür verantwortlich gewesen sein könnte, doch niemand konnte sich die Änderung wirklich erklären. Vroni hätte sich in ein kaum noch zu bändigendes, aggressives Wesen verwandelt, das die unglaublichsten Beschuldigungen gegen alle Welt ausgesprochen hatte und sich jeder Behandlung widersetzte. Nachdem sie bei einem erneuten Ausbruchsversuch ertappt worden war, begann man, sie nachts an das Bett zu binden. Ihr Toben hörte nicht auf, und so hatte der Doktor entschieden, daß nun wieder der Stuhl an der Reihe sei. Für ihn, den Alten, sei das schon zu anstrengend gewesen, aber er habe gehört, daß sie einem jungen Wärter ein Stück Fleisch aus der Schulter gebissen, ihn fast ohnmächtig geschlagen und den
Weitere Kostenlose Bücher