Die Godin
Von ihr mußte sie erfahren haben, daß ihr Vater im Zuchthaus gestorben war und ihre Mutter zuvor in einer Irrenanstalt, und diese Nachricht mußte es gewesen sein, die wie ein Schock auf sie gewirkt haben muß.
Eigenartig war jedoch, daß es hier eine Beziehung zwischen ihr und Fritz Urban zu geben schien, dessen Vater das Wohnrecht hatte eintragen lassen. Ein schöner Zug des Alten, zweifellos.
Er mußte mit der Totenpackerin sprechen. Danach würde er eigentlich wieder zurückfahren können. Er griff sich an seinen Nacken und massierte ihn langsam. Als er seinen Weg fortsetzen wollte, hörte er hinter sich Schritte.
»He da! Bleibens einmal stehen.«
Kajetan wandte sich um. Ein kräftig gebauter Mann in der Uniform der Landpolizei kam auf ihn zu. Der Gendarm schob seine Rundbrille zur Nasenwurzel, legte seine Hände hinter dem Rücken übereinander und musterte ihn düster.
»Wachtmeister Kaneder«, stellte er sich mißlaunig vor. »Was hat Er da in Sarzhofen zu tun?«
Kajetan hob erstaunt die Augenbrauen.
»Hab ich was angestellt?«
»Ich frag, was Er in Sarzhofen sucht!« Die Gläser fingen blitzend das Sonnenlicht.
Er sei im Auftrag eines Münchner Notars hier, um nach Angehörigen einer Verstorbenen zu forschen, log Kajetan. Der Wachtmeister griff zwischen Hals und Kragen und kratzte sich.
»So?« sagte er mißtrauisch.
»Ich versteh nicht ganz«, sagte Kajetan, »ist es verboten, in Sarzhofen über den Marktplatz zu gehen?«
Der Wachtmeister sah ihn kalt an.
»Für gewisse Leut schon.«
»Und ich komm Ihnen vor wie gewisse Leut?«
Der Wachtmeister schien zu überlegen. »Fragens nicht so dumm«, knurrte er schließlich, drehte sich mit einer brüsken Bewegung um und stapfte mit breit gesetztem Schritt davon.
Kajetan sah ihm kopfschüttelnd nach und setzte seinen Weg fort.
Auf dem Weg zum Friedhof hatte er die Abzweigung entdeckt, die zur Höllmühle führte. Hatte Mia die alte Müllerin besucht? Niemand im Ort hätte sehen können, wohin sie ging, nachdem sie den Ort verlassen hatte.
Die Schotterstraße, die von den Feldern über dem Inn in das Höllbachtal führte, wurde nicht mehr häufig befahren. Den sich in breiten Windungen in die Tiefe schlängelnden, mit Schlaglöchern übersäten Weg zerteilte ein grasbewachsener Wulst. Verwildertes Gebüsch und Unkraut drängte an den Wegrand. Die Bäume hatten ihre Äste ausladend über die Straße gestreckt, wo sie sich mit denen der Gegenseite zu einem grünen, schattigen Gewölbe verschränkten. Je mehr sich Kajetan dem Talgrund näherte, desto würziger roch die Luft nach feuchter Erde. Es war angenehm kühl. Das Geräusch eines Wasserlaufs nahm zu, und bald hatte er die Brücke erreicht, die über ein düsteres Gewässer führte. Ein kühler Luftstrom dampfte empor. Nach wenigen Schritten tauchte die alte Mühle aus dem Wald.
Das sonnenbeschienene, massige Gemäuer dämpfte das Brausen des Baches, der hinter ihm in den Mühlkanal gezwängt worden war, und außer seinem stumpfen Gemurmel, dem Summen von Mücken und Fliegen und dem zufriedenen Gesang der Vögel war kein anderer Ton zu hören. Doch das Haus war bewohnt. Ein umzäunter und offenbar kundig angelegter Gemüsegarten an der Hausseite und das Fehlen des Unkrauts, das sich schon nach kurzer Zeit an den Fundamenten verlassener Häuser emporrankt, waren die Zeugen.
Kajetan klopfte an die Tür. Als er keine Antwort erhielt, schob er die Tür einen Spalt auf und rief nach der Müllerin. Nach einiger Zeit hörte er Schritte. Eine brüchig klingende Stimme wollte wissen, wer gekommen sei. Kajetan nannte seinen Namen.
Die Müllerin stand plötzlich vor ihm und setzte sich umständlich eine Brille auf. Während sie ihn in die Stube der Mühle bat und mit schlurfenden Schritten voranging, betrachtete er sie verstohlen. Wie alt mochte sie sein? Ihre Bewegungen wirkten nicht gebrechlich. Sie war klein. Ihre dünnen Haare waren sorgsam zu einem Dutt gesteckt, und über dem Rock und der über die Ellenbogen gekrempelten Bluse trug sie einen ausgewaschenen, blauen Arbeitsschurz.
Für einen Moment hatte Kajetan das Gefühl, sie bereits einmal gesehen zu haben.
Sie lächelte dünn und schob ihm einen Korb mit ausgeschnittenen Äpfeln hin. Ihre Hände zitterten leicht. »Mögens?«
Kajetan lächelte und hob abwehrend die Hand. »Dankschön, Müllnerin. Ich hab grad gegessen.« Sie nahm auf einem Sessel Platz und faltete die Hände in ihren Schoß. Kajetan wußte nicht, wie er beginnen
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