Die Godin
Stuhl mit einem abgebrochenen Tischfuß zerstört hätte. Seit diesem Tag wurde sie auch tagsüber gefesselt. Die meisten Pfleger haßten und fürchteten sie. Um die anderen Patienten nicht zu sehr zu belasten, wurde sie in einem Raum abseits des Haupttraktes separiert. Die Fesseln wurden schließlich nicht mehr gelöst, bis der Arzt eines Tages feststellen mußte, daß die Haut unter den steifen Bändern bereits bis auf den Knochen vereitert war. Schließlich trat eine Blutvergiftung auf. Ihr geschwächter Körper konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Es habe so manchen gegeben, der froh gewesen sei, daß die Sache zu Ende gekommen sei.
Der Alte schloß die Schilderung ab. Er grinste unsicher. »Das ist schon komisch.«
»Komisch?« fragte Kajetan mit rauher Stimme. Mit wachsender Wut hatte er der Erzählung des Alten zugehört.
»Da kommt ein wildfremder Notari daher, mit dem man eigentlich gar nicht reden will, weil ein Haufen Arbeit da ist, aber dann redet und redet man auf einmal. Das ist… Augenblick!«
Der Alte hatte ein Geräusch im Nebenzimmer gehört. Er stand eilfertig auf, klopfte und ging durch eine Verbindungstür in das Büro des Arztes. Nach wenigen Minuten kam er zurück. Kajetan könne eintreten.
Der Doktor, ein freundlich über den Kneifer lächelnder Herr, der sich bereits in den Sechzigern befinden mußte, trotzdem aber noch über volles, wenn auch ergrautes Haupthaar verfügte, reichte ihm die Hand und wies mit einer verbindlichen Handbewegung auf einen Stuhl.
»Es geht um den Nachlaß der Tochter einer unserer Patientinnen? Bitte nehmen Sie doch Platz.«
Kajetan blieb stehen. Der Arzt sah ihn irritiert an.
»Ich nehme an, es geht um eine höhere Summe, da Sie sich sonst nicht die Mühe machen würden, hierherzukommen. Obwohl ich jetzt nicht im Detail informiert bin, würde ich sagen, daß natürlich noch jede Menge Forderungen aus der Behandlung der armen Frau Aichinger bestehen! Obwohl wir eine private Anstalt sind, haben wir bei dieser armen Frau eine Ausnahme gemacht. Jedoch, wenn…«
Kajetan unterbrach ihn.
»War die Tochter der Frau Aichinger vor einigen Tagen hier?«
»Tochter? Welche Toch…?« flüsterte der Arzt entsetzt.
»Welche Krankheit hatte die Mutter, Doktor?«
Der Arzt kniff die Augenbrauen argwöhnisch zusammen. »Wenn Sie meinen, daß dies hierhergehört? Sie litt an Dementia praecox.« Er richtete sich energisch auf. »Noch einmal - was wollen Sie? Was ist mit diesem Nachlaß?«
»Die Tochter hat kein Geld hinterlassen«, sagte Kajetan schneidend, »ich bin hier, um Ihnen die erfreuliche Nachricht zu überbringen, daß das lästige Wohnrecht, das auf Ihrem Haus gelegen hat, damit endgültig erloschen ist. Sie können es endlich verkaufen.«
Das Gesicht des Arztes war fahl geworden. »Was reden Sie da? Wer… sind Sie? Was wollen…?«
»Nichts!!« brüllte Kajetan, »außer Ihre Visage zu sehen, wenn ich Ihnen sage, daß Sie diese Frau auf dem Gewissen haben.« Der Arzt floh erschrocken hinter seinen Schreibtisch und fingerte an seinem Mund. Kajetan wandte sich zur Tür und sagte angewidert: »Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Niemand wird Sie anklagen, weil Sie eine hilflose Frau mit mittelalterlichen Methoden und einer Nachlässigkeit, die jeder Vorschrift spottet, zugrunde gerichtet haben! Es hat sich ja schließlich um - wie sagt man in Ihren Kreisen? - unwertes Leben gehandelt.«
»Das hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Wohnrecht zu tun!« schrie Kroepius mit hoher, zitternder Stimme. »Damit bin ich hereingelegt worden! Ich habe das Haus im guten Glauben gekauft, ohne zu wissen, daß dieses Recht darauf liegt! Der Halunke, dem ich vertraut habe, weil ich seinen Vater gekannt habe, hat mir nichts von dieser Einschränkung erzählt und mich gedrängt, den Kauf so schnell wie möglich durchzuführen, weil er noch viele andere Interessenten hätte.« Die Stimme des Arztes wurde weinerlich. Sein Kinn bebte. »Ich bin zur Gemeinde gegangen und habe mich erkundigt, ob auf dem Haus irgendwelche Eintragungen vorhanden wären, aber der Gemeindediener erklärte mir im Brustton der Überzeugung, daß er davon nichts wisse! Erst der Notar hat mich darüber aufgeklärt! Da hatte ich bereits eine hohe Anzahlung geleistet! Natürlich hätte ich zur Polizei gehen können - aber der Verkäufer hatte alles längst verspielt! Hätte ich den Kauf rückgängig gemacht, wären mein Geld und das Haus verloren gewesen. So habe ich es schließlich behalten
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