Die Göring-Verschwörung
nichtssagenden, grauen Straßenanzug. Clarson erkannte zuerst die Augen, obgleich sie im Tageslicht farblos wirkten. Es waren die gleichen Augen, die ihm vorletzte Nacht vor der Reichskanzlei begegnet waren.
Obersturmführer Struttner stutzte und benötigte einen Augenblick, um auszuloten, wie er sich verhalten sollte, bevor er an Clarson vorbeischauend eiligen Schrittes Richtung Ausgang marschierte.
»Kannten Sie den Mann?«, fragte der Sicherheitsbeamte, als sie im Aufzug standen.
»Nicht wirklich«, antwortete Clarson nachdenklich. »Wir sind neulich auf der Straße ineinander gelaufen.«
Der diensthabende Diplomat am Empfang hob den Hörer ab und wählte eine einstellige Nummer. »Herr Henry Clarson ist auf dem Weg zu Ihnen«, sagte er nach einem kurzen Warten. »Wenn Sie Seiner Exzellenz seine Ankunft melden möchten? Ich habe ihm außerdem Ihre hausgemachten Ingwerkuchen empfohlen.«
Er drückte kurz die Telefongabel herunter und wählte eine weitere einstellige Nummer. »Herr Henry Clarson ist auf dem Weg zu Seiner Exzellenz.«
»Danke«, antwortete Peter Ellis und legte auf.
»Ich bin erfreut, Sie so zeitig wiederzusehen.« Ashfield bot ihm lächelnd einen Platz in der Sitzgruppe an, dazu Tee und Gebäck. Seine vorangegangene Besprechung war zu Ende und die Sekretärin hatte Clarson gleich in das Botschafterbüro gebeten. »Ich hoffe, Sie haben mich gestern nicht missverstanden. Wir sind Ihnen äußerst verbunden, dass Sie Interna mit uns teilen, die zum besseren Verständnis der Zustände in der deutschen Führung beitragen. Es ist für die Regierung Seiner Majestät natürlich von enormer Bedeutung zu erfahren, wie tief die Risse innerhalb der deutschen Führung gehen. Wir brauchen alle Namen, alle Details. Ich glaubte nur nie an den Erfolg der diskutierten Planspiele. Daher war ich gestern etwas kurz angebunden. Es war ein hektischer Tag. Es sind hektische Zeiten für uns alle.« Ashfield redete eine Nuance schneller als üblich. »Lassen Sie uns rekapitulieren, ob es sich bei Görings Äußerungen um mehr als bloße Prahlerei gehandelt hat.«
Clarson schwieg und kostete den Tee.
Ashfield überbrückte die kleine Pause. »Wie haben Ihre Kontakte die Nachrichten von gestern aufgenommen? Hatten Sie schon Gelegenheit, persönlich mit dem Ministerpräsidenten zu sprechen?«
»Der Herr, der gerade aus Ihrem Büro kam, war von einer eindrucksvollen Größe«, stellte Clarson fest, innerlich hoffend, dass Struttner in einem anderen Teil der Botschaft geweilt hatte.
»Ja, richtig, in der Tat«, antwortete Ashfield überrascht.
»Es schien mir beinahe, als ob ich den Herrn irgendwoher kannte«, setzte Clarson fort.
»Oh, das glaube ich nicht. Eine rein private Bekanntschaft. Wir gehören dem gleichen Reitklub an.«
»Seltsam«, erwiderte Clarson und griff unwillkürlich nach seinem Stock, den er wie üblich neben seinem Bein abgelegt hatte. »Ich hatte angenommen, er hätte Sie zum Mord an Handelsattaché Wardley befragt.«
Ashfield erstarrte. »Pardon?«, war alles, was er herausbrachte.
»Der Mann ist ein Offizier des SD und ermittelt, offiziell zumindest, im Fall des Mordes an dem Attaché.«
»Sie irren sich«, entgegnete Ashfield, der sich blitzschnell wieder gefangen und die Fassade des souverän-distanzierten Diplomaten hochgezogen hatte. »Ich sagte Ihnen doch, er ist einer meiner Reitfreunde«, versteifte er sich auf seine Geschichte. Er hatte den Fehler gemacht, die Situation eingangs mit einer improvisierten Lüge überspielen zu wollen, nun blieb ihm kaum eine andere Strategie.
Clarson war entschlossen, den Diplomaten nicht mehr von der Angel zu lassen. »Warum war Obersturmführer Struttner bei Ihnen?«
Ashfield rang nach einer Replik und Clarson setzte nach. »Warum leugnen Sie seine Identität?«
»Das wird mir jetzt zu albern«, winkte Ashfield mit indignierter Miene ab. »Herr Clarson, Sie sind einem kompletten Missverständnis aufgesessen.«
»Gleich zu Beginn hatte ich mich gefragt, warum Sie so wenig überrascht waren, als ich mit der Meldung von einer Verschwörung zu Ihnen kam. Das war doch etwas ganz Schockierendes. Sie waren überrascht, aber auf eine seltsame Art und Weise. Es war nicht die Verschwörung, die Sie erstaunte, sondern lediglich, dass ich als ihr Kurier auftrat.«
»Ich muss Sie wirklich bitten, augenblicklich von Ihren ehrverletzenden Andeutungen abzulassen.«
»Welcher Form war Ihr Verhältnis zu Attaché Wardley?«
»Was implizieren Sie mit dieser
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