Die Göring-Verschwörung
werden sie nichts tun.«
»Entschuldigen Sie, dass ich alles verkompliziert habe«, sagte Lessing mit fatalistischer Miene. »Ich werde Sie alleine lassen.«
»Herr Lessing, verflucht, uns rennt die Zeit davon! Ich erkläre es Ihnen zum letzten Mal: Ich kann diesen Jäger nicht fliegen. Sie müssen meine Frau retten – und sich selbst.«
Endlich nickte der Ingenieur.
Ariane hatte die Arme verschränkt. »Ich werde dich nicht alleine lassen«, sagte sie bestimmt. »Meine Verbindung zu Magda ist deine einzige Überlebenschance. Keine Macht der Welt wird mich in dieses Flugzeug bringen. Ich meine es ernst.«
Er wusste, dass sie sich Illusionen machte. Die Art und Weise wie Binnewies und Manke exekutiert worden waren, ließ keinen Raum für Hoffnung, weder für ihn noch für seine Frau. Sie waren beide zu nahe dran an Hitlers Vertrautem Goebbels, als dass sie mit Görings Nachsicht rechnen durften. Clarson wusste aber auch, dass jeglicher Versuch, Ariane umzustimmen, vergeblich bleiben musste, dazu kannte er sie zu gut. In ihrer unsäglichen Sturheit verspielte sie ihre letzte, unverhoffte Fluchtmöglichkeit.
Das Einsatzkommando des SD hatte vom Haupthangar abgelassen und kam, von Männern der Wachmannschaft begleitet, auf sie zu. Einige trugen Gewehre, die Übrigen hatten Pistolen gezückt. Jeden Moment würde es zu spät sein.
»Ariane, um Himmels willen, steig in den verfluchten Flieger!«
Sie antwortete nicht einmal.
Lessing starrte bewegungsunfähig auf die herannahenden Schergen. Clarson legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe eine Bitte.«
»Was kann ich tun?«, antwortete Lessing, ohne seinen Blick abzuwenden.
»Suchen Sie in England so schnell wie möglich Winston Churchill auf und geben Sie ihm das hier.« Er zog das Besprechungsprotokoll aus der Tasche.
»Was ist das?«
»Dieses Dokument muss die britische Insel erreichen.« Er schob das gefaltete Papier unter Lessings Pilotenkluft. »Dann wird das alles hier wenigstens einen Sinn gemacht haben.«
Die Worte rissen Lessing aus seiner Trance. Behände erklomm er die Stufen zur Tragfläche. Der SD war inzwischen auf weniger als fünfzig Meter herangekommen.
»Verlassen Sie sich auf mich«, rief er, während er die kleine Leiter zur Seite stieß. Er bestieg die Pilotenkanzel, zog das Verdeck zu und machte sich ohne jede Verzögerung daran, die Doppelzündung der beiden Daimler-Benz-Motoren zu starten. Augenblicke später setzten sie hustend und spuckend zu lärmen ein, die Propellerblätter begannen scharfen Säbeln gleich durch die Luft zu wirbeln und zogen die Maschine quälend langsam unter dem Dach hervor. Ihre Verfolger riefen sich alarmiert kurze Kommandos zu und wechselten in den Laufschritt. Die Bf 110 gewann jetzt rasch an Tempo und rollte geradewegs auf die herbeieilenden Geheimpolizisten zu.
Ein SS-Scharführer an ihrer Spitze zielte auf die Pilotenkabine und feuerte.
»Aufhören, Jesus-Maria!«, schrie der Hauptfeldwebel hinter ihm keuchend. »Das ist Ingenieur Lessing!«
Verwirrt wichen die Männer des Einsatzkommandos zur Seite aus und blickten dem Flugzeug nach, wie es die Startbahn entlangraste und sich in der Nähe des Haupthangars mit scheinbarer Leichtigkeit in die Lüfte erhob.
Lessing ließ den Jäger nahezu lotrecht aufsteigen, zog dann eine enge Schleife, die schließlich zu einer vollständigen Wende führte, und setzte zum Sturzflug auf die Startbahn an. Mit der zweimotorigen Maschine war dies ein komplett halsbrecherisches Manöver. Wenig mehr als einen Meter über dem Boden brachte er das Flugzeug gekonnt wieder in die Horizontale und brauste mit markerschütterndem Lärm über die Köpfe der sich erschrocken duckenden Männer von SD und Luftwaffe hinweg.
Es sah aus, wie ein von lange angestauter Wut genährter Abschiedsgruß. Lessing riss das Flugzeug erneut nach oben und schickte sich an, das Manöver zu wiederholen.
»Ist der wahnsinnig geworden?«, schrie einer, andere hielten ihre Karabiner in die Luft und feuerten in Richtung des Flugzeugs.
Clarson erkannte nun den Zweck des riskanten Spiels. Lessing zog die Aufmerksamkeit ihrer Häscher auf sich und gab ihnen Gelegenheit, sich unerkannt davonzustehlen.
Bis zur Begrenzungsmauer hinter dem Hangar waren es nur wenige Schritte. Clarson warf seinen Mantel über die Stacheldrahtkrone des knapp drei Meter hohen Mauerwerks, um ihren stählernen Spitzen den ärgsten Effekt zu nehmen. Den Griff seines Stocks hakte er daneben in den Drahtverhau ein und zog
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