Die Göring-Verschwörung
Doch unverrichteter Dinge zurück in den Ohrensessel seines Kaminzimmers zu flüchten, war keine Handlungsoption, für die er sich besonders erwärmen konnte. Es würde bedeuten, davongelaufen zu sein beim ersten Anzeichen, dass die Luft dünn wurde, und hätte seiner kleinen Sammlung ein weiteres gescheitertes Unterfangen hinzugefügt. Jedenfalls war er einstweilen noch nicht bereit, sich auf einen unzeitigen Ruhestand in seinem Home County einzurichten, nur unterbrochen von gelegentlichen Einsätzen in Übersee im Auftrag seines Stiefbruders.
»Und was genau willst du tun?«, Ariane sprach wieder lauter, als es ihm lieb sein konnte. »Du weißt gar nichts, außer dass es irgendwie ein Komplott gegen Hitler geben soll. Der einzige Mann, der dir mehr erzählen könnte, ist letzte Nacht in deinen Armen verblutet. Ich werde nicht zulassen, dass du ihm in einem Anfall von blindem Eifer nachfolgst und mich gleich im ersten Ehejahr zur Witwe machst.« Sie schaute über den Teich und fügte leise hinzu: »Es hat alles sowieso keinen Zweck. Ich erkenne Magda gar nicht wieder. Sie ist hier so anders als bei ihren Besuchen in London.«
»Glaubst du nicht auch, dass deine Schwester im Grunde genau das Leben führt, das sie sich erträumt hat? Einschließlich des ganzen Nazi-Brimboriums?«
Ariane antwortete nicht.
Er wandte sich zum Weitergehen, steckte seine rechte Hand in die Hosentasche und spreizte den Ellenbogen ab. Ariane hakte sich ein und lehnte sich an seine Schulter an. Es war gut, sie an seiner Seite zu spüren.
»Nun gut«, sagte er leise, während sie um den Teich spazierten. »Ich muss jetzt ohnehin mit Churchill sprechen. Wardley war das einzige Verbindungsglied. Und da jeder Telefon- oder Briefkontakt zu riskant ist, gibt es keine andere Lösung, als dem Alten persönlich meine Aufwartung zu machen. Ich werde gleich nachher in die Botschaft gehen und mich nach neuen Ausweispapieren erkundigen.«
Die Britische Botschaft war eine Insel der Normalität, ein Stück England inmitten des Berliner Regierungsbezirks. Sie strahlte wohlige Vertrautheit aus und vermittelte dem Eintretenden das sichere Gefühl, dass die Welt zumindest an manchen Orten noch in Ordnung war. Draußen feierte das Dritte Reich derweil sich selbst. Der sogenannte Heldengedenktag hielt dieses Mal als Anlass her und nichts aus dem üblichen Repertoire von Flaggenparaden und Militäraufmärschen wurde ausgelassen, gewürzt mit Festtagsreden, die mehr geschrien als gesprochen wurden. Ein Besuch der diplomatischen Vertretung Seiner Majestät bedeutete, diesem Lärm zu entfliehen und ließ außerdem auf eine gute Tasse Tee hoffen.
Vizebotschafter Ashfield war einem Angebot seines Vorgesetzten gefolgt und nutzte für die Zeit von dessen Abwesenheit die dem Geschäftsträger vorbehaltene Dienstwohnung im obersten Geschoss. Henderson hatte es von Beginn an abgelehnt, die engen Räumlichkeiten, die er als finster und muffig empfand, zu beziehen und pflegte stattdessen täglich von seiner offiziellen Residenz in Grunewald anzureisen.
»Es ist Sonntag, mein Herr. Seine Exzellenz ist erst wieder morgen für Besucher zu sprechen«, begrüßte ihn eine milchgesichtige Nachwuchskraft hinter dem breiten Pult in der Mitte der Eingangshalle mit tadelndem Unterton. Der Empfangsbereich hatte gemäß Ministerialvorschrift stets unter der Aufsicht eines Angehörigen des diplomatischen Korps zu verbleiben und man betraute bevorzugt untere Ränge des statusbewussten Dienstes mit dieser wenig geliebten Aufgabe.
Clarsons energisches Beharren, dass sein Erscheinen gemeldet werde, veranlasste einen der umstehenden Sicherheitsbeamten, sich dienstbeflissen und mit finsterer Miene dem Empfangspult zu nähern. Doch der junge amtbevollmächtigte Diplomat machte ein abwehrendes Handzeichen in dessen Richtung und griff mit indignierter Miene zum Hörer.
»Seine Exzellenz will sie in der Tat gleich sprechen«, sagte er anschließend ein wenig beschämt. »Ich lasse Sie hinaufbegleiten.«
»Danke, dass Sie gekommen sind«, empfing ihn ein um Jahre gealterter Ashfield an der Tür zum Büro des Botschafters in der dritten Etage, in dem er als amtierender Geschäftsträger während der Abwesenheit Hendersons residierte. Der Raum roch muffig und nach dunklem Tabakqualm. Auf beiden Fensterbänken stapelten sich Bücher und Akten in ledernen Kladden, das bitter nötige Öffnen der Fenster unmöglich machend. Der Vizebotschafter schien während der kalten Jahreszeit nicht viel
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