Die Göring-Verschwörung
Gegenüber ließ sich Zeit mit der Antwort. »Sie haben im Mordfall Adrian Wardley ermittelt?«
»Da müssen Sie sich in die Prinz-Albrecht-Straße bemühen. Den Wardley-Fall haben wir entsprechend der Dienstvorschrift an die Gestapo weitergeleitet.«
Struttner zog seine Nase hoch. Das Geräusch ließ Traube erschaudern und verdeutlichte, wie wenig Gewicht sein Gast auf ein respektvolles Auftreten legte. »Diese Dienstvorschrift ist Ihnen etwas später eingefallen, als man es erwarten würde.«
»Die Identität des Opfers ist erst bei der Untersuchung im Leichenschauhaus bekannt geworden. Ich habe daraufhin gleich die Kollegen von der Gestapo eingeschaltet.«
»Der Mann hatte seinen Pass dabei! Klingt nicht eben nach vorbildlicher Polizeiarbeit.«
Tief Luft holend schloss Traube für eine Sekunde die Augen. Die Arroganz der SD-Leute war unübertrefflich. Stets traten sie mit einer Attitüde der Allmacht auf, dabei waren sie im Grunde nichts weiter als die Kollegen von der Nachbarbehörde. Er beabsichtigte nicht, dieses Spiel mitzuspielen. Immerhin hatte er als Hauptsturmführer den höheren Rang inne. »Es ist nicht Ihre Aufgabe, das zu beurteilen, Obersturmführer.«
»Das kommt darauf an«, entgegnete Struttner, nahm einen von Traubes Bleistiften und klopfte ein paarmal spielerisch gegen das Blech der Tischlampe.
»Lassen Sie das!«, fuhr Traube ihn an. »Das kommt worauf an?«, fuhr er fort, nachdem Struttner sein Trommelspiel unterbrochen hatte, ohne den Bleistift aus der Hand zu legen.
»Es könnte als Verschleppung der Aufklärung eines Verbrechens angesehen werden.«
»Werden Sie nicht unverfroren, Obersturmführer. Ich habe nichts als meine Dienstpflicht getan.«
»Wie dem auch sei«, sagte Struttner, auf den sitzenden Kommissar herabschauend. »Das ist alles nebensächlich. Gravierender ist, dass Sie den Tatverdächtigen trotz der Präsenz schwerwiegenden Belastungsmaterials haben laufen lassen.«
Traube presste die Zähne zusammen. In einem politischen Vertuschungsfall zwischen die Fronten zu geraten, konnte mehr als unangenehm werden. Auf Anweisung des Polizeipräsidenten hatte er nicht nur den vermeintlichen Täter auf freien Fuß gesetzt, sondern auch das Aussageprotokoll der Hauptbelastungszeugin vernichtet, bevor er die Akte der Gestapo zugestellt hatte. Doch auch ohne die Aussage hätte man den Engländer aufgrund der Fingerabdrücke auf der Tatwaffe in Haft halten müssen. Es galt mit äußerster Umsicht zu agieren, um nicht als Bauernopfer zu enden.
Die Lippen des jungen Obersturmführers verformten sich zu einem bitteren Grinsen. »Warum entlässt ein kleiner Kommissar einen hochgradig Verdächtigen, statt ihn einfach der Gestapo zu übergeben? Das ist nicht logisch.«
»Was haben Sie damit zu tun? Das ist ein Gestapo-Fall.«
»Aufgrund einer möglichen staatspolitischen Dimension hat unser Dienst die Untersuchung an sich gezogen.«
Traube massierte seine Fingerknöchel. Aus irgendeinem Grund war die Sache so heiß, dass selbst die Gestapo draußen gehalten wurde. Das bedeutete, dass Struttner über die Akte verfügte und entsprechend von den Fingerabdrücken wusste. Er konnte sich auch jederzeit einen der Beamten der Streife vorknöpfen, die an dem fraglichen Abend Dienst geschoben hatten, und so von der Aussage der Zeugin erfahren. Erstes Gebot war es jetzt, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wer auf welcher Seite stand. »Wer ist Leiter der Ermittlungen?«
»Ich«, antwortete der Obersturmführer knapp.
»Sind Sie nicht noch etwas jung für solch eine Verantwortung?«
Struttner schien von der Frage beleidigt. »Alte Männer wie Sie sind doch nichts weiter als das lästige Überbleibsel eines gescheiterten Systems.«
»Sind Sie sicher, dass Ihr eigener Vorgesetzter Gefallen an solchem Gerede finden würde?«
»Ich ermittle im direkten Auftrag von Gruppenführer Heydrich.«
Die Antwort ließ Traube erneut die Zähne zusammenbeißen. Der gerade mal fünfunddreißigjährige Reinhard Heydrich war eine der mächtigsten Figuren des Reiches und von mancherlei Geheimnis umwittert. Ihm unterstanden neben dem SD auch die Gestapo und Traubes eigene Behörde, die Kriminalpolizei. Wo immer er persönlich an einer Sache dran war, verloren Dienstvorschriften und normale Rechtsnormen ihre Gültigkeit.
»Clarsons Aussage war glaubhaft. Natürlich waren seine Fingerabdrücke überall auf dem Opfer zu finden. Immerhin war der Diplomat in seine Arme gestürzt. Ein Erdolchen in den Rücken
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