Die Göring-Verschwörung
aufgenommen. Die meisten seiner Kollegen hatten diese Formalie, die allen Kriminalkommissaren von der Dienstleitung nahegelegt wurde und in der Behörde zunehmend an Bedeutung gewann, lange vor ihm erledigt. Junge Nachwuchskräfte, die im Zuge des Ausbaus der Berliner Polizei unter der nationalsozialistischen Regierung die Ämter füllten, grüßten dienstbeflissen mit dem neuen Titel.
»Was soll es denn da für eine neue Entwicklung geben? Ich habe den Verdächtigen ja noch gar nicht verhört«, gab Traube genervt zurück.
»Das Opfer ist identifiziert, Herr Hauptsturmführer.«
»Kann das nicht warten? Ich bin in ein paar Stunden im Amt.«
»Es ist ein Ausländer. Und nicht nur das. Er ist ein Angehöriger der britischen Botschaft. Hatte einen Diplomatenpass dabei.«
Jetzt war Traube hellwach. »Was? Verdammte Schweinerei! Warum hat man das nicht früher herausgefunden?«
»Die Erstuntersuchung war wohl etwas schlampig, vielleicht weil alles blutverschmiert war. Der Leichenbeschauer hat den Pass dann gefunden, Herr Hauptsturmführer.«
»Bringen Sie den Täter in den Verhörraum, ich bin sofort da. Und nennen Sie mich Kommissar!«
Er rammte den Hörer auf die Gabel. Von Amts wegen war seine Behörde verpflichtet, in Fällen, in denen ausländische Vertretungen involviert waren, die Gestapo einzuschalten. Wenn jetzt Stunden nach der Festnahme noch kein Verhörprotokoll vorlag, konnten ihm unangenehme Fragen gestellt werden.
Der schwere gusseiserne Riegel schleifte quietschend über die Halterung, ein Schlüssel wurde gedreht und der diensthabende Wachtmeister trat ein. Er brachte ein Paar abgetragene Hosen und eine dünne Jacke. »Ziehen Sie das an und folgen Sie mir.«
Clarson kniff die Augen zusammen, um sich an das vom Korridor her eindringende Licht zu gewöhnen.
»Kann ich meinen Stock haben?«, fragte er, nachdem er sich bekleidet hatte.
Die Hose war viel zu weit und ohne Gürtel, er musste sie von Hand in Position halten.
»Sie können ganz gut ohne Krücke laufen, Gentleman«, gab der Wachmann zurück.
Er packte Clarson am Jackenkragen im Nacken und zerrte ihn den Korridor entlang. Clarson gelang es nur mit Mühe, Schritt zu halten, ohne das linke Bein zu sehr zu belasten. Über eine quälend lange Treppe ins Erdgeschoss geführt, fand er sich in einem kahlen Verhörraum wieder. Er ließ sich keuchend auf einem der vier Stühle nieder und legte sein Bein unter dem großen quadratischen Holztisch in der Mitte des Zimmers ab. Gegenüber an der hellgrün getünchten Wand hing ein gerahmtes Porträt von Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei. Mit seiner harmlosen, gutmütig wirkenden Miene ähnelte er eher einem Dorfschullehrer in der Uniform der Hilfsfeuerwehr als dem allmächtigen Befehlshaber sämtlicher Sicherheitskräfte des Reiches.
In seinem Bein breitete sich ein zitternder Schmerz aus, seine Augen, müde und von grellen Leuchtstoffröhren an der Decke des Raumes geblendet, begannen zu tränen. Er würde darauf beharren, in der Botschaft mit Wardley über Swing gesprochen und sich mit ihm daraufhin für den nächsten Tag in der Tivoli-Bar verabredet zu haben. Für den Rest der Geschichte konnte er bei der Wahrheit bleiben, abgesehen vom Thema ihrer Unterhaltung natürlich. Außerdem hatte er mit seiner Verwandtschaft zu Goebbels noch einen letzten, schwachen Trumpf in der Tasche. Einen Versuch war es allemal wert.
Was ihm fehlte, war eine passable Erklärung, warum er Ariane im Restaurant hatte sitzen lassen. Ihre ausgeklügelte Tarnung hatte letztlich das Gegenteil bewirkt und brachte ihn jetzt in Erklärungsnöte. Eine Geschichte von einem Ehestreit mochte für den Moment ausreichen. Glücklicherweise hatte er ihrem Drängen widerstanden und sie nicht mit in die Bar genommen. Sie war hoffentlich klug genug gewesen, sich ein Taxi zurück ins Hotel zu nehmen.
Der verhörende Kommissar setzte sich ihm gegenüber. Er hatte es augenfällig eilig und gab seinen Untergebenen knapp gehaltende Anweisungen. Einer der Beamten postierte sich breitbeinig hinter Clarson, ein weiterer nahm rechts von ihm am Tisch Platz und schickte sich an, ein Protokollformblatt auf Durchschlagpapier um die Walze einer kleinen schwarzen Schreibmaschine zu klemmen.
»Verhör Henry C. Clarson, in Haft, Sonntag, den zwölften März, null Uhr dreißig«, begann der Kommissar zu diktieren. Die bereitliegende Akte aufblätternd, wandte er sich seinem Verdächtigen zu. »Also, Sie sind Henry
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