Die Göring-Verschwörung
von Frischluftzufuhr zu halten.
»Hier herrscht natürlich große Aufregung«, begann er, seinen Gast hinein geleitend. »Das ist das Letzte, was die deutsch-britischen Beziehungen in der derzeitigen Situation gebrauchen können. Nicht zu sprechen von meiner persönlichen Betroffenheit. Ich habe in Wardley einen guten Freund verloren.«
Er trug einen schwarzen Zweireiher, bewegte sich würdevoll wie stets, doch langsamer, fast gebrechlich. Der Tod des Handelsattachés hatte ihn regelrecht aus der Bahn geworfen. Auch erschien er älter, als Clarson bei ihrer ersten Begegnung geschätzt hatte. Der faltigen Haut des dünnen Halses nach zu urteilen, musste Ashfield deutlich über sechzig sein.
Er bot Clarson einen Platz in einer dunkelgrün gehaltenen Sitzgruppe an, vor einem lebensgroßen Porträt des ersten Herzogs von Marlborough, des Helden der Schlacht von Höchstädt und Vorfahr Winston Churchills. Er schaute zunächst zu, wie Clarson sich mit seinem steifen Bein in dem tiefen viktorianischen Polstersessel einrichtete, und ließ sich dann selbst schwer atmend wie nach einer körperlichen Anstrengung nieder.
»London hat jetzt hundert Fragen, die ich nicht beantworten kann. Die Botschaft soll ihre eigenen Nachforschungen anstellen, obwohl die deutschen Behörden von einem gewöhnlichen Verbrechen ausgehen. Wie bitte soll ich das anstellen? Etwa persönlich den Kommissar spielen? Ich wäre jedenfalls froh, wenn dies alles schnell vorüber wäre.«
Eine ältere Sekretärin mit gütigem, rundem Gesicht brachte unaufgefordert Tee für den Vizebotschafter und seinen Gast. Der Anblick des Gedecks ließ Ashfield etwas aufatmen.
»Nun ja«, sagte er, nachdem er den Tee gekostet und sich in den Sessel zurückgelehnt hatte, » ubique quo fas et gloria ducunt .«
Clarson hob die Augenbrauen und sah Ashfield fragend an.
» Überall, wohin Pflicht und Ruhm rufen . Das Motto meiner alten Einheit, des Royal Artillery Regiment. Ich habe es mir zu eigen gemacht.«
»Wenn dieser Ruf nur immer so klar und deutlich zu vernehmen wäre«, kommentierte Clarson.
Ashfield nickte sinnierend, bevor er zum Thema zurückkehrte. »Ich höre, man hat Sie als Zeugen vernommen?«
Die deutsche Polizei hatte wohl entsprechende Mitteilung gemacht. Kein Wunder also, dass Ashfield ihn trotz der sonntäglichen Ruhezeit empfing.
»Ja, ich war am Tatort, als der Mord geschah.«
»Der gute Wardley hatte eine Schwäche für sonderbare Etablissements«, sagte der Vizebotschafter kopfschüttelnd. »Bei allem Respekt vor privatem Faible und Gusto, was hatte Sie an diesen Ort verschlagen?«
»Attaché Wardley wollte etwas vertraulich mit mir besprechen und hatte mich dorthin gebeten. Und ich bin nicht als Zeuge vernommen worden, sondern als Tatverdächtiger.«
Ashfield riss die Augen auf. »Um Himmels willen! Wie kommt es dann, dass Sie überhaupt vor mir sitzen?«
»Ich bin noch in der Nacht ohne Angaben von Gründen freigelassen worden. Natürlich waren die Vorwürfe komplett haltlos. Doch das Ganze ging so plötzlich über die Bühne, dass ich annehme, dass Goebbels seine Finger im Spiel hatte und die Berliner Polizei vor ihm gekuscht hat.«
»Sie sagen das mit einer Unbekümmertheit, die ich nicht nachvollziehen kann. Minister Goebbels kann vielleicht ein paar kleine Kripobeamte eine Zeit lang einschüchtern, doch wenn die Gestapo Sie in die Finger kriegen will, wird er sich schon etwas Besonderes einfallen lassen müssen, um das zu verhindern. Polizei und Geheimdienst unterstehen Himmler und seinem Vize Heydrich, den neuen starken Männern hinter Hitler. Die beiden werden sich von dem kleinen Minister nicht reinreden lassen.«
»Goebbels’ Ehekrise scheint doch bereinigt zu sein, zumindest nach außen hin.«
»Das mag so sein, doch die Affäre hat ihn seine privilegierte Stellung bei Hitler gekostet. Im Augenblick kämpft er wohl noch darum, wieder einer der Favoriten zu werden. Die Voraussetzungen dafür stehen im Grunde nicht schlecht. Schließlich ist er ein ganz hemmungsloser Bewunderer des Reichskanzlers und gehört zu den Radikalsten in der Führungsclique. Alle einigermaßen gemäßigten Kräfte scheinen ausgetauscht zu werden. Im letzten Jahr hat es die Armeeführung sowie den alten Außenminister von Neurath getroffen und jetzt mehren sich die Gerüchte um Göring. Zur selben Zeit machen sich die Slowaken zu Handlangern Berlins und demonstrieren in den Straßen für ihre Unabhängigkeit vom tschechoslowakischen Bundesstaat, was
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