Die Göring-Verschwörung
nehmen? Eine Woche? Oder vielleicht nur noch einen Tag? Danach würde ein Staatsstreich wie ein bloßer persönlicher Racheakt aussehen und wäre schon allein dadurch zum Scheitern verurteilt.«
»Ich mag es nicht, wenn so gesprochen wird«, antwortete Göring in einer Stimmlage, die nicht verbarg, dass er sich seiner Lage wohl bewusst war.
»Sie müssen den Tatsachen ins Auge sehen, Herr Generalfeldmarschall: Es ist vorbei.«
30
Göring nahm zwei große, flach geschliffene Rubine aus einem offenen Etui auf seinem Schreibtisch und presste sie mit seiner Rechten knirschend gegeneinander. Die Stirn in Falten gezogen, kauerte er in Gedanken versunken in seinem Thron. »Für wann ist Hitlers Abreise vorgesehen?«, fragte er nach einer halbe Ewigkeit.
»Sein Kommandozug wird ab vierzehn Uhr am Potsdamer Bahnhof für ihn bereitstehen. Ich habe Order, den Führer zu begleiten.«
Göring nickte langsam. Er ließ die Edelsteine zurück in das Futter des Lederetuis gleiten, erhob sich und erklärte ruhig: »Wir müssen es heute machen, noch bevor er Berlin verlässt.«
»Unvorstellbar! Wir sind auf eine solche Planänderung in keiner Weise vorbereitet. Im Gegenteil! Hoepner ist gestern Abend an die Westfront abkommandiert worden, seine Panzer werden justament verladen.«
Göring verharrte stehend mit verkniffener Miene, seine Finger trommelten auf den Schreibtisch. »Wir tun es, Halder«, wiederholte er. »Sämtliche Wehrmachtseinheiten sind seit heute Morgen in Alarmbereitschaft. Das wird alles einfacher machen. Das neunte Infanterieregiment sollte bereits einsatzbereit in den Kasernen stehen. Unser Operationsplan ist bis ins Detail ausgearbeitet, alle wesentlichen Männer wissen, was sie zu tun haben. Was sollte uns aufhalten?«
»Das Zeitfenster würde trotz allem nicht ausreichen.«
»Die Sondereinheit meines Leibregiments ist jederzeit bereit zuzuschlagen. Sie hat schon 1934 mit der SA aufgeräumt, in einer nicht weniger kritischen Situation. Ich lasse die Männer gleich im Hof antreten. Die Mobilmachung wird alles ganz unverdächtig aussehen lassen.«
Halder schüttelte den Kopf. »Ihre Truppe muss nur über den Hof in die Prinz-Albrecht-Straße marschieren. Ein Regiment von Potsdam heranzuführen, ist eine ungleich schwierigere Aufgabe. Der Führer verlässt Berlin in wenigen Stunden. Es ist schlichtweg unmöglich, am helllichten Tage so mir nichts dir nichts die Innenstadt zu besetzen, ohne unvorhersehbare Schwierigkeiten und Verzögerungen einzukalkulieren.«
»Sie sollen ja nicht wie die Magyaren marodierend durch die Straßen ziehen. Lassen Sie Nausitz das Neunte zur Sammlung auf dem Königsplatz antreten! Niemand wird eine solche Order im Tumult der allgemeinen Mobilmachung infrage stellen. Schon gar nicht, wenn sie vom Generalstabschef kommt.«
»Es bleibt der Zeitfaktor als Problem.«
»Nicht, wenn wir stufenweise vorgehen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Wir setzen Hitler fest, noch während er in der Reichskanzlei weilt, und sorgen dafür, dass es solange nicht nach außen dringt, bis das Graf 9 herangeführt ist.«
»Das ist tollkühn!«, rief Halder und meinte es nicht als Kompliment.
»Wenn der Führer ausgeschaltet ist«, fuhr Göring mit fester Stimme fort, »und das SS-Hauptquartier in unserer Hand, wer würde sich gegen den zweiten Mann im Reich und designierten Nachfolger stellen wollen? Das Potsdamer Regiment ist doch bloß eine zusätzliche Absicherung, damit alle gleich wissen, woher der neue Wind weht.«
»Ist es nicht genug, dass Hoepners Panzer ausfallen?«
»Herr General, Sie sind ein gepriesenes Genie in Fragen militärischer Taktik. Benötigen wir wirklich Kampfpanzer, um das Zentrum Berlins unter Kontrolle zu halten? Außerdem kann er seine Panzer ja wieder ausladen und steht dann später noch zur Verfügung. Mit Helldorf auf unserer Seite haben wir doch die gesamte Polizei der Hauptstadt hinter uns. Es kann gar nicht schiefgehen.«
Halder ließ seine linke Hand auf der Knopfleiste seines Uniformrocks ruhen; eine unwillkürliche Bewegung, um den schmerzenden Magen zu beruhigen. Görings Eifer war dem Wagemut eines mit dem Rücken zur Wand stehenden Mannes entsprungen und bildete einen beinahe erfrischenden Kontrapunkt zu der Zögerlichkeit der Offiziere des Verschwörerkreises. Der Plan war risikoreich wie ein Pokerspiel, doch gleichzeitig von einer nassforschen Chuzpe, die ihm sehr wohl zum Erfolg verhelfen mochte.
»Wann rechnen Sie mit einer Nachricht von Ihrem Emissär?
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