Die Göring-Verschwörung
Abneigung, sein Zorn richteten sich ganz gegen Himmler, den er für seinen Abstieg verantwortlich machte.
Gleichwohl war es kaum mehr als die übliche Heuchelei, mit der sich Halders Gegenüber nun zum Opfer der Umstände stilisierte. Der Feldmarschall mochte eine Reihe positiver Eigenschaften haben, Skrupel gehörten nicht dazu. Er war kalt, brutal und rücksichtslos, wenn es darauf ankam. Es würde nicht einfach werden, ihn unter Kontrolle zu halten.
»Wer könnte es tun?«, riss Göring ihn aus seinen Gedanken.
Halder rang mit sich. »Geben wir ihm fünf Minuten Zeit, das Notwendige selbst zu erledigen. Soviel sind wir ihm schuldig.«
»Wenn er darauf nicht eingeht?«, erwiderte Göring geschäftig. »Haben Sie jemanden in der Gruppe, mit dessen Hilfe wir uns dieses Problems entledigen könnten?«
»Ja.«
Beide schwiegen für einige Sekunden.
»Wer ist es?«, fragte Göring schließlich nach.
»Oberstleutnant von Dannegger.«
»Können wir uns auf ihn verlassen?«
»Für das Gelingen unseres Unternehmens würde er alles tun.«
»Dann lassen Sie uns keine Zeit mehr verlieren!«
Halder blickte den ihn erwartungsvoll anstarrenden Göring an, der seine Hand ausgestreckt hatte. »Wagen wir es!«, sagte er schließlich und schlug ein.
Göring verharrte einen Moment lang im Pathos des Augenblicks, dann riss er den Hörer von der Gabel und hielt ihn Halder vor die Brust. »Rufen Sie Nausitz an! Er kann womöglich schon zur selben Zeit wie Sie mit einer ersten Kompanie vor Ort sein und einen Bezirk um die Wilhelmstraße abriegeln.«
Halder nahm den Hörer zögernd entgegen und ließ sich verbinden. »Oberst Nausitz? – Die Stunde der Tat ist gekommen.«
31
»Was soll das heißen, seine Exzellenz glaubt nicht an einen Krieg?«, brauste Göring auf.
»Die britische Diplomatie ist unverändert von der Möglichkeit eines Interessenausgleichs mit Hitler überzeugt«, gab Clarson zur Antwort.
Göring holte einmal tief Luft, dann platzte es aus ihm heraus. »Diese feigen Nichtsnutze! Dieses lasche Pack! Es ist nicht zu glauben! Sie wollen sich um den Krieg herummogeln!« Er sprang mit einer solchen Energie auf, dass seine Körpermasse den riesigen Schreibtisch ins Wanken brachte, und ließ seine fleischige Faust unsanft auf die ledernen Arbeitsfläche niedergehen. »Sie müssen, müssen den Krieg erklären! Sie müssen!«
Göring war einer jener Zeitgenossen, die glaubten, Schreien sei eine angemessene Art menschlicher Interaktion; eine auf dem Kontinent weit verbreitete Unsitte.
Clarson hatte den Marschall in seinem pompösen Büro im Reichsluftfahrtministerium geschäftig über eine Unterschriftenmappe gebeugt angetroffen. Mit einem kleinen Füllfederhalter hatte er eilig die darin befindlichen Dokumente abgezeichnet, ohne ihnen Beachtung zu schenken, und eigenhändig eine Löschwiege aus blauem Marmor über die feuchte Tinte seines Namenszuges gewalzt.
Er wirkte ausgeruht und vor Gesundheit strotzend. Der Kontrast zu seinem desolaten Zustand letzte Nacht hätte nicht größer sein können. Clarsons Eintreffen hatte ihn zunächst nicht veranlasst, seine Tätigkeit zu unterbrechen. Er hatte seinem Gast einen Platz in einer Sitzgruppe an einem der Fenster des riesigen Büros angeboten und sich dem nächsten Dokument zugewandt. Clarsons Mitteilung hatte ihn schließlich aus seiner Routine gerissen und von seinem enormen Bürosessel aufspringen lassen.
»Der Engländer darf sich nicht so einfach davonstehlen. Die können doch ihre tschechischen Bundesgenossen nicht einfach im Regen stehen lassen.«
»Offensichtlich beabsichtigen sie genau das tun«, antwortete Clarson. »Die britische Regierung setzt nach wie vor auf Hitler als Kooperationspartner und hat infolgedessen kein Interesse, sich an eine deutsche Opposition zu binden, die für sie eine weitgehend unbekannte Größe ist. Immerhin will Ashfield bis zum Nachmittag Fühlung mit seinem Ministerium aufgenommen haben.« Clarson hatte sich entschieden, nicht lange um den zentralen Punkt herumzureden. »Außerdem hat er seine Bereitschaft erklärt, noch heute persönlich mit Ihnen zusammenzutreffen.«
»Was? Was erzählen Sie da?«
»Ich musste Ihren Namen nennen, um überhaupt Interesse an der Meldung von den Aktivitäten einer Opposition gegen das gegenwärtige Regime zu wecken.«
»Das ist unerhört!«, fuhr Göring auf. »Ich hatte Ihnen klare Instruktionen gegeben.«
»Die ich befolgt habe, Herr Ministerpräsident. Doch die Nachricht von
Weitere Kostenlose Bücher