Die Göring-Verschwörung
gänzlich anonymen Putschplänen hatte es nicht vermocht, Seine Exzellenz zu irgendeiner Stellungnahme zu bewegen.«
»Das ist ein Vertrauensbruch!«, setzte der Marschall nach.
»Aus der Not geboren, Herr Ministerpräsident. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Nachricht von Ihrer Beteiligung vom Vizebotschafter äußerst positiv aufgenommen wurde. Seine Exzellenz ist sehr daran interessiert, binnen kürzester Frist mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Offen gestanden hatte ich den Eindruck, dass man aufseiten der britischen Diplomatie bereits erwartet hatte, dass ein Mann Ihres Formats nicht widerstandslos von der Bühne der Weltgeschichte abtreten würde.«
Ein Mann von Görings Charakter würde für billige Schmeicheleien dieser Art empfänglich sein.
Der Marschall machte eine unwirsche Handbewegung. »Was nützt das alles? Ich brauche die Kriegserklärung und ich brauche sie dringend.«
»Sie können eine Änderung der britischen Position erwirken durch das direkte Gespräch. Lassen Sie den Vizebotschafter zu sich bitten!«
»Ich habe andere Dinge zu tun.«
»Was kann es in diesem Augenblick Wichtigeres geben?«
»Alles ist in Bewegung geraten. Alles muss schneller gehen als vorgesehen. Sie, mein guter Clarson, müssen Großbritannien davon zu überzeugen, dem Reich den Fehdehandschuh hinzuwerfen! Diese Aufgabe fällt jetzt Ihnen zu.«
»Ich kann nicht sehen, wie das möglich sein soll. Die Regierung in London sieht in Hitler einen zentralen Faktor der zukünftigen europäischen Friedensordnung.«
»Das ist ein Witz!«, ereiferte sich Göring erneut. »Der Führer sieht es als seine Lebensaufgabe an, dem deutschen Volk neuen Lebensraum zu erobern und das schon seit seinem Eintritt in die Politik. Ich habe lange geglaubt, dass ich ihm diesen Wahn ausreden kann. Glauben Sie mir, ich habe alles versucht, was in meiner Macht stand, sogar mein Vertrauensverhältnis zu ihm aufs Spiel gesetzt. Doch er hat sich unwiderruflich auf diesen Kurs festgelegt und die gesamte Führungsspitze des Reiches darauf eingeschworen. Die ungeahnten außenpolitischen Erfolge des letzten Jahres waren für ihn nur zusätzliche Bestätigung seiner Mission.«
»Sie meinen, die verantwortlichen Männer um ihn wissen von seinen Kriegsplänen und unterstützen sie?«
»Es ist amtliche Politik«, nickte Göring. »Jedermann im inneren Zirkel weiß, dass es spätestens in ein paar Jahren losgehen wird.«
»Pardon? Es ist als die offizielle Politik des Dritten Reiches festgelegt?«
»Ich sage Ihnen doch, es ist beschlossene Sache.«
»Das ist schwer zu glauben.«
»Ihr Engländer verkennt das Wesen von Hitlers Regime.«
»Wie soll ich das Ashfield klarmachen? Sie sind derjenige, der mit ihm sprechen muss.«
Göring schien kurz zu überlegen, dann beugte er sich, ohne ein Wort zu sagen, zum linken Unterschrank seines Schreibtischs hinunter. Er zog die hölzerne Tür auf. Dahinter verbarg sich ein kleiner stählerner Panzerschrank von etwa einem halben Meter Höhe. Gewissenhaft drehte er das Kombinationsrad zweimal abwechselnd nach rechts und nach links, legte den Handgriff um und die schwere Tresortür öffnete sich geräuschlos. Als er sich wieder aufrichtete, hatte Göring ein Dokument in den Händen. Er ließ es nonchalant auf seine Unterlagen auf dem Schreibtisch fallen, das Schriftbild Clarson zugewandt. Es handelte sich um wenige maschinengeschriebene und mit roter Schnur zusammengeheftete Blätter mit dem Briefkopf des Reichskriegsministeriums. »Dies ist die wahre Natur von Hitlers Außenpolitik«, kommentierte er, bedeutungsschwer mit dem Zeigefinger auf das Dokument tippend.
GEHEIME REICHSSACHE
Besprechung vom 5. November 1937
Anwesend:
Der Führer und Reichskanzler,
Reichskriegsminister Generalfeldmarschall von Blomberg,
Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst von Fritsch,
Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Generaladmiral Raeder,
Oberbefehlshaber der Luftwaffe Generaloberst Göring,
Reichsminister des Auswärtigen von Neurath,
Oberst Hoßbach.
Der Führer betonte eingangs, dass seine nachfolgenden Ausführungen das Ergebnis eingehender Überlegungen und der Erfahrungen seiner viereinhalbjährigen Regierungszeit seien. Was er mitzuteilen im Begriff sei, sei als seine testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens zu verstehen.
Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung. Die deutsche Zukunft sei ausschließlich durch die Lösung
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