Die Götter 2. Das magische Zeichen
Nadeln durchstochen. Instinktiv spannte er jeden Muskel an und presste die Zähne zusammen, bis die Schmerzwelle über ihn hinweggerollt war. Danach fühlte er sich wie befreit: Er war zwar immer noch schwach, aber sein Körper war endlich zur Ruhe gekommen. Dieses letzte Aufbäumen des Schmerzes war ein Nachhall der Qualen, die er in der Nacht erlitten hatte – Qualen, die etwas mit schwarzer Magie zu tun haben mussten.
Er erinnerte sich lebhaft daran, auf der Schwelle des Todes gestanden zu haben. Josion hatte sich sogar gefragt, ob er nicht schon gestorben war. Außerdem hatte er einen äußerst seltsamen Traum gehabt, in dem seine Mutter erschienen war und ihn gerettet hatte. Der Traum war erstaunlich lebensecht gewesen. Darin hatte Zejabel ihn zur Burg getragen, an seinen verdatterten Freunden vorbei. Anschließend hatte sie ihn im Lesesaal auf eine Liege gebettet.
Und das Polster eben dieser Liege spürte er jetzt im Rücken!
Wie vom Blitz getroffen riss er die Augen auf und fuhr hoch. Es war kein Traum gewesen! Er lag tatsächlich auf einer Liege. Damián, Guederic und die anderen standen in der Tür und wandten ihm müde und besorgte Gesichter zu, und neben ihm kniete Zejabel, eine Phiole in der Hand.
Widerstreitende Gefühle bestürmten Josion: Er lebte, zumindest das wusste er jetzt, und auch die anderen waren mit dem Leben davongekommen. Allerdings war es ausgerechnet seine Mutter, die ihn gerettet hatte – seine Mutter, die er seit vier Jahren nicht gesehen hatte.
Zejabel hatte um die Augen herum einige Falten bekommen – und sogleich fühlte er sich schuldig. Von Gefühlen überwältigt, verbarg er das Gesicht in den Händen und schluchzte auf. Er wusste nicht, ob seine Mutter das Bedürfnis hatte, ihn zu trösten; zumindest wagte sie nicht, ihn zu berühren. So weinte er einen Augenblick allein, ohne dass sich jemand seiner annahm.
Allerdings beruhigte er sich rasch wieder; schließlich war er von klein auf zu nichts anderem erzogen worden. Dieser Gedanke weckte seinen Stolz – und den Groll, den er gegen Zejabel hegte. Er nahm die Hände vom Gesicht, wischte sich ungeduldig die Tränen von den Wangen und vergewisserte sich schnell, dass tatsächlich alle den Angriff überlebt hatten. Als er sie in der Tür stehen sah, kam er sich auf seiner Liege plötzlich dumm vor, wie ein verzärteltes Kind. Josion warf die Decke zurück, setzte sich mit so viel Würde wie möglich auf und kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, das ihn ergriff.
Schließlich wagte er es, seine Mutter anzusehen. Sie wandte rasch den Kopf ab, doch was er in ihrem Blick hatte lesen können, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Tränen traten Zejabel in die Augen, und ihr Kinn begann zu zittern. Josion wünschte sich weit fort, um nicht die eine Frage stellen zu müssen. Er wollte die Antwort nicht hören, aber er hatte keine Wahl.
» Was ist mit Vater? « , fratge er tonlos. » Wo … wo ist er? «
Zejabel gelang es noch einen Moment, die Fassung zu bewahren, bevor sie ihrem Sohn in die Arme sank und sich schluchzend an ihn klammerte.
» Er ist tot! « , rief sie unter Tränen. » Sie sind alle tot! Alle! «
Es herrschte tiefes Schweigen, nur unterbrochen von den Schluchzern, die Zejabel am Hals ihres Sohns erstickte. Alle waren wie versteinert. Selbst Maara, die sich bislang vor allem über die vielen Tränen aufgeregt hatte, stand da wie vom Blitz getroffen. Auch ihr Vater Ke’b’ree war in Zejabels Gesellschaft gewesen …
Sie sind alle tot. Was sagte die Zü da bloß? Sie sind alle tot, wiederholte Maara in Gedanken. Die Wallattin sah ihre Gefährten nicht mehr, nahm weder ihre Anwesenheit noch ihre Erschütterung wahr. In ihrem Kopf gab es nur noch diese vier Worte. Sie sind alle tot. Diese vier Worte und die Angst vor den Worten, die noch folgen würden.
In diesem Moment zerriss Damiáns Stimme die angespannte Stille. Seinem brüchigen Ton und dem gepressten Atem war anzuhören, dass er ebenso verängstigt und aufgewühlt war wie die anderen.
» Was … Wie meinst du das? Wovon redest du? «
Zejabels Kopf ruhte noch einen Moment an der Schulter ihres Sohns, bevor Josion sie sanft fortschob. Auch er wollte die Antwort hören. Er hatte das leichenblasse Gesicht und den fiebrigen Blick eines Menschen, der fürchtete, alles verloren zu haben. Josion hat immerhin noch seine Mutter, dachte Maara mit einem Anflug von Neid. Bei diesem Gedanken schossen ihr Tränen in die Augen. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte
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