Die Götter 2. Das magische Zeichen
kurz mit ihm gekämpft, doch sie waren nicht in der Lage gewesen, ihm den Todesstoß zu versetzen. Zum einen aus Ehrgefühl: Die Wallatten waren Krieger, keine Mörder. Zum anderen aus Freundschaft: Sie hatten zu vieles gemeinsam durchgestanden, um in Guederic noch einen Feind zu sehen. Najel senkte als Erster die Waffe, und kurz darauf ließ auch Maara von Guederic ab. Von ihren Gefühlen überwältigt, hatten sich die drei unter Tränen umarmt. Auch Guederic wusste nicht, warum König Ke’b’ree seinen Tod wünschte. Najel war überzeugt, dass der Lorelier die Wahrheit sagte. Indem sich die Geschwister dem Befehl ihres Vaters widersetzten, hatten sie einen Unschuldigen verschont.
Maara dachte bestimmt genauso, auch wenn sie es nie zugeben würde. Najel kannte seine Schwester fast so gut wie sich selbst: Sie würde ihn für seinen Ungehorsam bestrafen, auch wenn sie insgeheim der Meinung war, dass er richtig gehandelt hatte. So war Maara nun einmal, und Najel war wie immer bereit, alle Schikanen über sich ergehen zu lassen. Zumal er sicher war, das Richtige getan zu haben.
Fast sicher.
Immerhin war es den Geschwistern gelungen, ihr Geheimnis zu wahren. Durch Zejabels Auftauchen gleich nach dem Kampf hatten die anderen keine Gelegenheit gehabt, Najel und Maara zu fragen, warum sie für kurze Zeit verschwunden waren. Auch Guederic hatte den Zwischenfall mit keinem Wort erwähnt, zumindest bisher nicht. Wahrscheinlich würde er sich irgendwann seinem Bruder anvertrauen, aber bis dahin wäre etwas Gras über die Sache gewachsen.
Auch dessen war sich Najel fast sicher.
Natürlich hing das Wohlwollen der anderen davon ab, was Zejabel zu erzählen hatte. War sie Ke’b’ree begegnet? Wusste sie, wo sich der Wallattenkönig aufhielt? Konnten die Geschwister darauf hoffen, ihren Vater bald wiederzusehen? Doch Zejabels trauriger und zugleich grimmiger Gesichtsausdruck deutete auf schlechte Nachrichten hin …
Najel hoffte inständig, dass Josion bald aufwachen würde, denn bisher waren alle Versuche, seiner Mutter eine Auskunft zu entlocken, vergeblich gewesen. Reglos saß die Zü am Bett ihres Sohns und schwieg eisern. Vermutlich hatte sie die ganze Nacht an seiner Seite ausgeharrt. Ab und zu erwachte sie aus ihrer Starre, um eine geöffnete Phiole unter Josions Nase zu schwenken. Jedes Mal hofften die anderen, die alles aufmerksam durch die offene Tür verfolgten, Josion würde endlich die Augen aufschlagen. Doch nichts geschah, und bald war ein ganzer Dekant verstrichen, seit Zejabel die Tür geöffnet hatte.
Irgendwann wussten die Gefährten nichts mehr mit sich anzufangen. Sie hatten alle nützlichen Arbeiten erledigt – zumindest jene, für die sie sich nicht allzu weit von der Zü und ihrem Sohn entfernen mussten. In der Annahme, dass sie die Burg bald verlassen würden, hatten sie ihre Bündel und Säcke gepackt, hatten lustlos gefrühstückt und in der Vorratskammer ihren Reiseproviant aufgestockt, nachdem Zejabel mit einem stummen Nicken ihr Einverständnis gegeben hatte. Anschließend waren alle gemeinsam hinunter in den Waffensaal gegangen, in dem sich der Kampf abgespielt hatte. Sie durchsuchten die Leichen der Angreifer, fanden aber keinen Hinweis auf ihre Herkunft oder ihre Absichten. Sie brachten die unangenehme Aufgabe so schnell wie möglich hinter sich, abgestoßen von dem grauenhaften Anblick, der sich ihnen bot. Jetzt liefen Maara und Damián unruhig im Gemäldesaal auf und ab, während Souanne in einer Ecke ein wenig Schlaf nachholte. Lorilis und Guederic wiederum waren in die Reisetagebücher ihrer Vorfahren vertieft.
Gedankenverloren betrachtete Najel eines der Gemälde an den Wänden des Saals. Das Bild zeigte seinen Vater, seine Mutter Lyn’a’min und seine Großmutter Che’b’ree. Der Junge hatte keine der beiden Frauen kennengelernt, denn die Wallattenkönigin war bei seiner Geburt gestorben. Niss hingegen, die Malerin, hatte ihre Modelle persönlich gekannt. Für Najel waren die Gesichter nicht weniger wirklich, nur weil sie der Vergangenheit angehörten. In seinen Augen waren die Gemälde ein einzigartiger Schatz, sehr viel kostbarer als die Burg, in der sie hingen.
Trotzdem wandte er sich ohne zu zögern ab, als Josion im Nebenzimmer zu husten begann.
Der Geruch scharfer Gewürze nahm Josion den Atem. Gleich darauf verschwand die Phiole wieder, die jemand unter seiner Nase hin- und hergeschwenkt hatte, und er holte tief Luft. Ihm war, als würde sein Körper von tausend feinen
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