Die Götter 2. Das magische Zeichen
auf den Horizont. Die Wallattin war kurz verunsichert, schob ihre Zweifel dann aber beiseite. Sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Nach außen gab sie stets die unerschrockene Kriegerprinzessin, und um diesem Bild auch jetzt gerecht zu werden, sagte sie das Erste, was ihr durch den Kopf ging: » Ich muss wissen, was du von der Sache hältst. Du kennst sowohl deinen Sohn als auch die Stadt, in die wir fahren. Hältst du unser Vorhaben für zu gefährlich? «
Müde sah Zejabel sie an. Maara wusste immer noch nicht, was sie von der Zü halten sollte. Die beiden Frauen hatten sich schon ein paarmal heftig gestritten. Andererseits war die einstige Kahati gut mit ihrem Vater befreundet gewesen, und die Wallattin bewunderte sie zumindest als Kriegerin sehr.
» Josion wird dafür sorgen, dass alles gutgeht « , versicherte Zejabel. » Wie er selbst sagt, ich habe ihn für derlei Dinge ausgebildet. Tut einfach, was er sagt, und ihr werdet es schaffen. «
» Warum kommst du nicht mit? « , fragte Maara weiter. » Ich habe dich auf der Insel gesehen. Du bist niemand, der gern im Hintergrund bleibt. «
» Er will es nicht « , erklärte die Kriegerin. » So einfach ist das. «
Sie machte eine Pause, schüttelte langsam den Kopf und sagte dann: » Ich tue nichts, was er nicht will. Er ist alles, was ich noch habe. «
Ihre Traurigkeit und Reue waren so deutlich zu spüren, dass selbst die stolze Maara erschüttert war. Plötzlich blitzte das Bild von Lyn’a’min, ihrer eigenen Mutter, vor ihrem geistigen Auge auf und überlagerte das Gesicht ihres Gegenübers. Wie lange diese glückliche Zeit zurücklag … Josion war ein ausgemachter Dummkopf! Letzte Nacht, als unklar gewesen war, ob Zejabel überleben würde, hatten die Gefährten genau gesehen, wie sehr er an seiner Mutter hing. Warum zeigte er ihr jetzt die kalte Schulter?
» Was ist bloß mit euch beiden los? « , fragte sie unumwunden. » Hat er sich dir gegenüber respektlos verhalten? Hast du ihn gedemütigt? Warum seid ihr zerstritten? «
Zejabel riss die Augen auf. » Wir sind nicht zerstritten! Hat er das gesagt? «
» Er hat gar nichts gesagt « , brauste Maara auf. » Nicht mehr als du. Aber bei jeder Entscheidung, die wir treffen müssen, ballen sich Gewitterwolken zusammen, und ihr schweigt euch feindselig an! So kann das nicht weitergehen! «
Der Zü verschlug es die Sprache. Sie schien es nicht gewohnt zu sein, dass jemand in solch einem Ton mit ihr sprach. Maara war sehr zufrieden mit sich. Sie war die Einzige an Bord, die sich traute, Unangenehmes zur Sprache zu bringen – und manchmal war das einfach nötig. Zejabels nachdenklicher Gesichtsausdruck war der beste Beweis dafür.
» Gut, ich werde mit ihm reden « , versprach sie.
Bei diesen Worten überlief sie ein Schauer. Maara hätte es dabei bewenden lassen können: Zejabel sah nicht mehr so aus, als würde sie sich jeden Augenblick ins Wasser stürzen. Maaras Mission war beendet. Doch einer plötzlichen Eingebung folgend, redete sie weiter.
» Denk nicht mehr an das Beiboot. Du hast es genommen, um zu uns zu kommen und uns zu beschützen. Unsere Eltern waren damit einverstanden. Niemand konnte ahnen, was passieren würde. Mein Bruder hat dir schon verziehen … und auch ich verzeihe dir. «
Zejabel nickte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch die Tränen kamen immer wieder.
» Ich hätte bei ihnen bleiben müssen. Ich hätte bei Nolan bleiben müssen … Ich hätte ihn nicht zurücklassen dürfen. «
Maara nickte betroffen. » Denk an die Gegenwart. Du hast zwei Aufgaben: deinen Sohn beschützen und dich an den Kerlen rächen, die deinen Mann getötet haben. Für beides kannst du auf mich zählen. «
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging davon, weil sie fürchtete, sonst von ihren Gefühlen überwältigt zu werden. Nie hätte sie gedacht, dass ihre erste Freundin an Bord ausgerechnet die einstige Kahati sein würde.
Anders als am Morgen zog sich die Zeit nach dem Mit-Tag in die Länge. Je näher die Erben ihrem Ziel kamen, desto angespannter wurden sie. Ihnen begegneten immer mehr Schiffe und Boote, teilweise von ausgefallener Bauart. An der Küste waren Siedlungen und Dörfer zu sehen, und in der Ferne zeichneten sich die Umrisse der Leuchttürme ab, die Lorelia vorgelagert waren.
Sie hatten versucht, sich unterwegs auszuruhen, aber nur wenige hatten Schlaf gefunden und wenn, dann nur für kurze Zeit. Schon lange vor Sonnenuntergang fanden
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