Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
unnötig Angst zu machen. Im Augenblick kam es ohnehin nicht in Frage, einem unsterblichen und ebenso mächtigen wie grausamen Gegner die Stirn zu bieten.
» Aber was heißt das?«, wollte Najel wissen. » Dass wir gar nichts tun?«
Damián tätschelte das Manuskript neben sich, als wäre es ein kostbarer Schatz.
» Wir werden weiter nach Antworten suchen«, antwortete er. » Wenn wir die Vergangenheit unter die Lupe nehmen, finden wir vielleicht einen Ausweg. Würdet ihr mir dabei helfen, die Manuskripte nach Hinweisen zu durchsuchen?«
Er sah die beiden erwartungsvoll an. Lorilis würde ihm mit ihren magischen Fähigkeiten eine Hilfe sein, und Najel hatte schon mehr als einmal bewiesen, wie scharfsinnig er war. Als die Kinder nickten, begann Damián, ihnen von den Forschungen seines Vaters zu erzählen. In den letzten zwanzig Jahren hatte Amanón sämtliche Manuskripte über die Etheker gesammelt, die er finden konnte. Leider war die Geschichte des ältesten Volks der bekannten Welt nur lückenhaft überliefert. Der Kommandant der Grauen Legion hatte seinen Einfluss geltend gemacht, um kostbare Manuskripte in seinen Besitz zu bringen und sie falls nötig wieder instand setzen zu lassen. Außerdem hatte er Ausgrabungen unter der Heiligen Stadt Ith durchgeführt, um jahrtausendealte Wandinschriften abzuschreiben. So hatte er nach und nach das vergessene Alphabet entschlüsselt und die Geschichte des ethekischen Volks rekonstruiert.
Das alles war höchst interessant, aber eine wichtige Frage blieb unbeantwortet: Wie war es den Ethekern gelungen, das Jal zu erschaffen?
Dem Kommandanten der Grauen Legion war es gelungen, das Rätsel teilweise zu lösen. In den Manuskripten, die er in Zuïas Bibliothek entdeckt hatte, konnte er nachlesen, dass die ethekischen Pforten Teil uralter Begräbnisriten gewesen waren. Die Etheker, die sich rings um den Blumenberg niedergelassen hatten, bahrten ihre Verstorbenen auf einem Felsvorsprung am Berghang auf. Nach einiger Zeit errichteten sie den Toten zu Ehren einen mit Schriftzeichen verzierten Steinbogen, durch den sie die Leichen während der Begräbniszeremonie trugen. Die Leichen verschwanden, weil sie entweder vom Wind fortgetragen oder von Aasgeiern gefressen wurden. Doch die Etheker glaubten, dass die Toten in eine bessere Welt eingingen– oder in die Hölle, wenn es sich um Verbrecher handelte.
So ging es viele Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte, und das zunächst nur in der Vorstellung existierende Jenseits nahm immer mehr Gestalt an. So bestatteten die Etheker, die die Pforte durchquerten, ihre Verstorbenen irgendwann tatsächlich in den prachtvollen Gärten des Dara oder warfen sie in die Höhlen, die ins Karu führten. Später wurden dann die ersten Kinder in jener seltsamen Zwischenwelt geboren. Damals gingen Menschen im Jal ein und aus. Irgendwann wurden die Ewigen Wächter erschaffen, um die Pforten zu schützen. Im Laufe der Zeit veränderten sich die Bestattungsrituale, und die ethekischen Pforten gerieten in Vergessenheit. Und das, obwohl Nol den Sterblichen alle zehn Generationen einen Besuch abstattete.
» Als die Etheker dann ausstarben, war zwar ihr Volk vom Angesicht der Erde verschwunden, aber das Jal, das sie erschaffen hatten, bestand nach wie vor und nahm weiterhin die Seelen der Verstorbenen auf. Sie stärkten fortan die Macht der Götterkinder. Wie die Sache ausging, wissen wir. Aber die wichtige Frage lautet: Wie hat alles angefangen? Zu welchem Zeitpunkt hat dieser allein in der Vorstellung existierende Ort tatsächlich Gestalt angenommen, und warum?«
» Ich dachte immer, durch die Kraft des Glaubens«, meinte Lorilis.
» Das dachten wir alle. Aber nach eurer Entdeckung bin ich überzeugt, dass das Jal durch Magie entstanden ist. Durch ein fehlgeschlagenes Experiment.«
Najel und Lorilis sahen sich verblüfft an und baten Damián um eine Erklärung. Doch der Ritter musste erst einmal seine Gedanken ordnen. Das Wissen, das die Grundlage für seine Vermutung bildete, hatte er aus vielen verschiedenen Quellen zusammengetragen: den ethekischen Manuskripten, Amanóns Tagebüchern und der Abschrift der Symbole, auf die sein Vater in den Höhlen unter dem Blumenberg gestoßen war. Auch die Inschrift der Pforte auf der Insel Ji und die Schriftzeichen auf der Pforte im Dara, die nicht von Menschenhand gemeißelt, sondern allein durch den Glauben und die Vorstellungskraft der Etheker entstanden waren, hatte Damián studiert. Sie enthielten
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