Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
auf den Rückweg zur ethekischen Pforte.
In einer Höhle etwa dreißig Schritte entfernt, deren Eingang von außen kaum zu sehen war, entfaltete eine Kreatur mit weiblichen Formen ihre langen Glieder und rieb unruhig ihre Krallen aneinander. Bisher hatte sie sich nicht in das Tal hinausgewagt. Irgendetwas schien sie davon abzuhalten, ihr den Zugang zu verwehren. Schon seit Jahren musste sie deshalb in den finsteren Gängen nach Nahrung suchen. Und von Zeit zu Zeit kroch sie bis zum Höhlenausgang vor und brüllte ihre Wut in die Nacht hinaus.
Aber heute würde sie ihren Schlupfwinkel verlassen, sobald die Dunkelheit hereingebrochen war. Diesmal würde sie das unsichtbare Hindernis überwinden. Sie wusste nicht, warum sie diese Sterbliche im roten Gewand so hasste, aber sie wusste, dass sie sie bestrafen musste. Zum Beispiel, indem sie ihr Kopf und Glieder ausriss. Der Gerechtigkeit musste Genüge getan werden.
Und die Kreatur würde Richterin und Vollstreckerin des Urteils zugleich sein.
Najel langweilte sich schrecklich und suchte verzweifelt nach einem Zeitvertreib. Zunächst hatte er vorgehabt, einen kleinen Ausflug in die Umgebung zu unternehmen, doch die Erinnerung an den zerfleischten Kadaver, den die Erben am Morgen gefunden hatten, war noch frisch, und er hatte keine Lust, abermals eine so grausige Entdeckung zu machen. Er war nicht einmal sicher, ob der Leichnam schon weggebracht worden war, denn er hatte die Talbewohner nicht mit einer Bahre vorbeikommen sehen. Andererseits erregten sie aber auch nie viel Aufsehen.
Als sich Maara Souanne an die Fersen heftete, zog er kurz in Erwägung, sich den beiden anzuschließen. Doch er überlegte es sich rasch wieder anders– wer wusste schon, was die beiden Frauen zu besprechen hatten, und er wollte sich ihnen nicht aufdrängen. Vielleicht würde ihr Spaziergang auch mit einer Rauferei enden, schließlich konnten sich die beiden nicht besonders gut leiden. Jedenfalls wollte er sich da lieber heraushalten. Falls es eine Prügelei geben sollte, würde er ohnehin früh genug davon erfahren. Seine Schwester würde ihm alles brühwarm erzählen und keine Einzelheit auslassen. Vor allem, wenn sie als Siegerin aus dem Streit hervorginge, woran er keinen Augenblick zweifelte.
Blieben nur noch Damián und Lorilis. Najel hatte gehofft, sich mit den beiden über die neuesten Erkenntnisse unterhalten zu können, über Saat und die Möglichkeit, dass ein neues Jal existierte. Doch der Ritter stürzte sich sofort auf die Inschriften, die in die ethekische Pforte gemeißelt waren. Er holte ein Manuskript nach dem anderen aus seiner Tasche, verglich die Symbole mit den Aufzeichnungen seines Vaters und lief nachdenklich um die Säulen herum. Dabei verlor er kein Wort. Najel brannte vor Neugier, aber er wagte nicht, den Lorelier anzusprechen. Früher oder später würde Damián ihnen ohnehin ausführlich von seinen Entdeckungen berichten, und bis dahin musste er sich eben in Geduld üben.
Najel hätte auch nichts dagegen gehabt, Lorilis Gesellschaft zu leisten, aber sie war ganz in Gedanken versunken. Reglos saß das Mädchen im Gras und sah mit starrem Blick auf die Pforte. Er beschloss, sie nicht zu stören, auch wenn ihm das nicht leichtfiel. Innerhalb weniger Dekanten hatten die Erben so viel Neues erfahren, dass Najel das unstillbare Verlangen hatte, sich mit jemandem darüber auszutauschen. Und wer wäre besser dafür in Frage gekommen als Lorilis, der er sich mittlerweile sehr nah fühlte?
Nach vier oder fünf Dezimen hielt er es nicht mehr aus und nutzte Lorilis’ Gähnen als Vorwand, um sich neben sie zu setzen. » Müde? Oder hast du vielleicht Hunger?«, fragte er. » Wir könnten uns ein Stück Fluffbrot teilen, wenn du magst…«
» Nein, danke. Ich muss mich nur furchtbar konzentrieren, um die Energieströme zu sehen. Anfangs ist es ganz leicht, aber mit der Zeit wird es immer anstrengender.«
» Ach so«, sagte Najel interessiert. » Und was siehst du genau?«
Er wusste nur wenig über Lorilis’ Fähigkeit und wollte gern mehr darüber erfahren, auch, um der schönen Lorelierin noch näher zu kommen.
» Wenn ich mich konzentriere, kann ich die Energieströme sehen, die zwischen allen Pflanzen, Tieren, Steinen, Gegenständen und Menschen hin und her fließen. Man könnte sie mit Sonnenstrahlen vergleichen, allerdings sind sie leicht gebogen. Es gibt unendlich viele davon, und ich kann selbst bestimmen, welche ich wahrnehme. Zum Beispiel kann ich mich nur
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