Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
auf die Energieströme in der nächsten Umgebung konzentrieren, oder nur auf die hellsten. Und mit meinen magischen Kräften kann ich diese Energieströme manipulieren und so auf meine Umgebung einwirken. Aber hier ist alles anders…«
» Verstehe«, sagte Najel. » Und was ist hier anders?«
Bei Lorilis’ ernster Miene lief Najel ein Schauer über den Rücken. Da war er einen halben Dekant lang davon ausgegangen, dass sie friedlich ihren Gedanken nachhing, dabei hatte sie offenbar nur darauf gewartet, sich jemandem anzuvertrauen.
» Es ist völlig verrückt«, sagte sie. » Hier im Tal werden alle Energieströme von einer geheimnisvollen Kraft umgelenkt. Sie sind zum Zerreißen gespannt. Wenn ich mich auf die Energieströme konzentriere, die von jenseits des Gebirges kommen, ist es da genau dasselbe. Es ist, als wäre die Energie der ganzen Welt straff gespannt, wie die Sehne eines Bogens.«
Der Junge nickte. Dann runzelte er die Stirn. » Das verstehe ich nicht«, gestand er. » Wie muss ich mir das vorstellen? Und warum findest du das beunruhigend?«
Lorilis seufzte leise, aber Najel nahm es ihr nicht übel. Er wusste, dass es nicht abschätzig gemeint war. Nachdem Lorilis kurz nachgedacht hatte, pflückte sie einen Grashalm und hielt dem Jungen das eine Ende hin. Sie selbst behielt das andere in der Hand, sodass der Halm eine Verbindung zwischen ihnen herstellte. » Ich zeige es dir«, sagte sie.
Sie griff in die Mitte des Halms und zog ihn in Richtung Pforte.
» Es ist, als würde die Pforte alle Energie, aus der die Welt besteht, aufsaugen. Noch widerstehen die Ströme, aber wer weiß, wie lange noch…«
Ruckartig zog sie an dem Halm, und er zerriss. Najel starrte auf den halben Stängel in seiner Hand und fühlte sich auf einmal ganz klein und unbedeutend. Ihm wurde angst und bange.
» Aber warum?«
» Vielleicht liegt es an Saat«, sagte Lorilis. » Nol hat uns ja erklärt, dass sein Überleben den Lauf der Welt stört. Und hier in diesem Tal kann ich das mit bloßem Auge sehen.«
» Das ist ja schrecklich!«
Najels Blick wanderte von dem abgerissenen Halm in seiner Hand zu dem ethekischen Bauwerk und zurück. Wäre Saat selbst in dem Augenblick durch die Pforte getreten, hätte ihn das nicht stärker erschüttern können.
» Ich glaube, die Pforten haben sich nicht vollständig geschlossen«, fuhr Lorilis fort. » Genauso wenig wie die Götter oder das Jal völlig verschwunden sind. Irgendwo besteht immer noch ein geisterhaftes Abbild des Jal, wie eine Erinnerung. Oder irgendwo sind ein neues Dara und ein neues Karu entstanden. Zu dem Schluss bin ich jedenfalls gekommen. Und die Welt steuert langsam ihrem Untergang zu. Sie droht sich aufzulösen!«
» Aber das müssen wir verhindern! Vielleicht können wir ja etwas dagegen tun! Ich weiß nicht… Wir könnten versuchen, die Pforte zu zerstören. Das ist einen Versuch wert.«
» Das müssten wir erst mal schaffen«, sagte Lorilis mit einem Seufzer. » Sie steht schon seit Tausenden von Jahren hier und wird von einer starken Magie beschützt, das spüre ich. Sie wird wahrscheinlich als Allerletztes vom Nichts verschlungen werden.«
» Wir müssen es wenigstens versuchen. Und wir müssen den anderen Bescheid geben.«
» Ich weiß«, sagte Lorilis. » Ich versuche schon seit drei Dezimen, meinen Mut zusammenzunehmen und mit Damián zu sprechen. Ich bin ungern die Überbringerin schlechter Nachrichten. Außerdem sehen die anderen mich dann wieder seltsam an…«
Tröstend legte Najel ihr einen Arm um die Schultern, um ihr zu beweisen, dass niemand sie für seltsam hielt. Das junge Mädchen schmiegte sich an ihn wie ein Kind– und eigentlich war sie das ja auch noch. Wie konnte das Schicksal so grausam sein, einem so jungen Mädchen eine derart schwere Verantwortung aufzubürden? Selbst für einen Erwachsenen wäre dies eine harte Prüfung gewesen.
Najel ging Lorilis’ Unglück sehr nahe. Doch seine eigene Lage war auch nicht viel beneidenswerter. Ihm hatte Usul vorhergesagt, dass einer der Erben einen Mord an einem Freund begehen würde und dass sie eine Entscheidung zu treffen hätten, von der das Schicksal der Welt abhinge. Es verging kein Tag, an dem sich Najel nicht über die Prophezeiung den Kopf zerbrach. Alles, was er tat, alles, was er sagte, konnte die Zukunft verändern oder ein Unglück heraufbeschwören.
» Wir müssen den anderen Bescheid sagen«, drängte er. » Es führt kein Weg daran vorbei.«
Das Mädchen nickte, ließ
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