Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
eine freundliche, wenn auch nutzlose Geste, da der Alte von Kopf bis Fuß durchnässt war. Er wirkte elender als je zuvor– ganz so, als hätte er jeden Widerstand aufgegeben und wartete nur noch darauf, von seiner viel zu langen Existenz erlöst zu werden. Mitleidig strich das junge Mädchen ihm übers Gesicht, wie der Hüter es am Morgen bei dem Leichnam des Verdammten getan hatte. Nach einer Weile schlug Nol die Augen auf. Zwar war sein Blick noch verschleiert, aber zu ihrer Überraschung lächelte er schwach.
» Du wirst es schaffen«, murmelte er kaum hörbar.
Was meinte er damit? Waren seine Worte überhaupt an sie gerichtet? Lorilis bat ihn zu wiederholen, was er gesagt hatte, doch in diesem Augenblick schlug der Blitz ein drittes Mal ein, und der nachfolgende Donner übertönte ihre Frage. Der Hüter schreckte aus seiner Benommenheit auf und erhob sich.
Die Erben umringten seine abgezehrte Gestalt, und Lorilis hätte ihre Frage gern noch einmal wiederholt, aber als sie den verwirrten Gesichtsausdruck des alten Mannes sah, überlegte sie es sich anders. Offenbar hatte er im Fieberwahn gesprochen.
» Geht es Euch besser?«, fragte Damián besorgt.
Der Hüter nickte schwach, und Maara konnte ihre Ungeduld nicht länger bändigen.
» Was wisst Ihr über das neue Jal?«, drängte sie. » Gibt es diesen Ort tatsächlich? Und könnten unsere Eltern dort sein?«
Nol sah durch sie hindurch und tippte sich mit zitternden Fingern an die Schläfe, als wäre die Antwort dort zu finden.
» Ja… Sie sind dort«, sagte er schließlich stockend. » Sie waren diejenigen, die es erschaffen haben. Sie haben das Jal erschaffen…«
Wieder zuckte ein Blitz vom Himmel und schlug ganz in der Nähe ein. Für einen Moment erleuchtete er die verblüfften Gesichter der Erben. Lorilis traute ihren Ohren kaum. Zwar war es ihre eigene Idee gewesen, dass es ein neues Jal geben könnte, und dass ihre Eltern und Großeltern den Schiffbruch überlebt hatten, war eine wunderbare Nachricht. Aber der Gedanke, dass die ältere Generation diesen Ort erschaffen hatte, überstieg ihre Vorstellungskraft.
» Woher wisst Ihr das?«, fragte Josion. » Konntet Ihr mit ihnen in Verbindung treten? In Gedanken zu ihnen sprechen?«
Das ohrenbetäubende Geheul der Verdammten hinderte den Hüter daran zu antworten. Es war so weit. Die Kreaturen hatten ihre Höhlen verlassen und waren ins Tal eingefallen. Sie schlichen an den Felswänden entlang, nahmen Witterung auf und gierten nach Beute, die sie zerfleischen konnten.
» Nein, ich kann nicht mit ihnen sprechen…«, murmelte Nol schließlich. » Ich bin auch nicht ganz sicher, dass sie noch leben. Es ist ein völlig neues Jal, versteht ihr? Es kann tausend verschiedene Gesichter haben, die alle weder dem Dara noch dem Karu gleichen. Deshalb können wir auch nicht durch die Pforte hingelangen. Ich hätte es wissen müssen…«
» Aber wie habt Ihr es dann entdeckt?«, fragte Josion. » Oder könntet Ihr Euch geirrt haben?«
» Mich geirrt…«,wiederholte der Hüter traurig.
Da heulte kaum hundert Schritte von ihnen entfernt ein Verdammter. Lorilis bekam eine Gänsehaut. Die Kreaturen hatten ihre Baumgruppe erreicht.
» Auf jeden Fall habe ich einen Fehler gemacht«, sagte der Greis. » Ich konnte nur auf eine Weise Gewissheit erlangen: Ich musste meinen Geist allen einstigen Göttern und Dämonen in der Umgebung öffnen. Ich schöpfte aus unserer gemeinsamen Kraft, um in das Labyrinth der Vergangenheit vorzudringen. Ich erforschte die Grundfesten der Welt und suchte nach ihren Bruchstellen. So wie ich es immer getan hatte, als ich noch Nol der Lehrende war. Doch diesmal ging ich ein Risiko ein. Weil ich es eilig hatte herauszufinden, ob es tatsächlich ein neues Jal geben könnte, öffnete ich mich auch den Geistern des Karu. Und jetzt wissen sie Bescheid…«
In diesem Moment ertönte direkt unter ihnen ein bestialisches Knurren. Lorilis wagte nicht, sich zu rühren. Zejabel und Guederic krochen zum Rand der Plattform und spähten nach unten. Guederic zeigte in die Tiefe, und die Zü nahm einen Pfeil aus ihrem Köcher, spannte die Sehne und zielte… Doch als sie dem barmherzigen Blick des Hüters begegnete, senkte sie den Bogen. Von Nässe triefend kehrte sie in den Kreis der Erben zurück. Guederic hingegen blieb, wo er war, und starrte mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten nach unten.
» Was habt Ihr denn genau herausgefunden?«, fragte Damián. » Wie konnten unsere
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