Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
Schnee, in den sie bis zu den Knien einsanken. Nach etwa zwanzig Schritten blieben sie stehen und wandten sich zu der Pforte um.
Die einstige Herrscherin des Karu befand sich immer noch auf der anderen Seite, im Tiefen Turm von Romin. Als die letzte Sirene mit ihr verschmolz, war ihre Metamorphose vollendet. Das Ungeheuer maß die Erben mit einem hasserfüllten Blick, richtete sich abermals wie eine Kobra auf und brüllte ihnen seine Wut entgegen. Doch kein Laut drang zu den Erben herüber.
Im nächsten Moment schoss das schaurige Reptil auf sie zu, aber als es versuchte, die Pforte zu durchqueren, wurde es in Stücke gerissen und löste sich vor den Augen der Gefährten auf. Im Sterben stieß es einen letzten stummen Schmerzensschrei aus.
Dann war es vorbei. Das Licht unter dem Bogen der Pforte wurde schwächer und erlosch schließlich ganz.
Die Erben blieben allein in vollkommener Finsternis zurück, zitternd vor Kälte und ohne einen Anhaltspunkt, wo sie sich befanden.
ZWEITES BUCH
AUS SEELEN GEBOREN
S aat schlief nicht viel. Eigentlich brauchte er fast überhaupt keinen Schlaf. Der Hexer verfügte über so viel Energie, dass er mühelos zwei Dekaden lang aufbleiben und selbst dann noch Taten vollbringen konnte, welche die Fähigkeiten seiner Schüler bei Weitem überstiegen. Irgendwann würde er einmal ausprobieren, wie lange er tatsächlich ohne Schlaf auskam, aber erst, wenn er sich die Herrschaft über die Welt der Sterblichen gesichert hätte. Bis dahin wollte er kein Risiko eingehen. In der Vergangenheit hatte er aus Nachlässigkeit schon zu viele Fehler begangen.
Der Hexer schlief also nur selten. Ab und zu schlummerte er einen oder zwei Dekanten lang. Meistens setzte er sich dazu einfach in seinen Sessel und träumte vor sich hin, wobei er bisweilen einnickte. Und wenn er mit dem Schiff unterwegs war, legte er sich manchmal in die Hängematte, die er in der mit Büchern vollgestopften Kajüte aufgehängt hatte, und döste vor sich hin. Diese kleinen Ruhepausen reichten ihm völlig.
Aus einer seltsamen Laune heraus hatte er in dieser Nacht jedoch beschlossen, sich in sein Bett zu legen, auf eine richtige Matratze mit parfümierten Laken, die jeden Tag gewechselt wurden, auch wenn er sie fast nie benutzte. Er verspürte weder Müdigkeit noch hatte er das Bedürfnis, sich von der Welt zurückzuziehen: Es war einfach nur eine fixe Idee. Saat dachte, vielleicht wäre es amüsant, so zu tun, als wäre alles noch wie früher. Er war es seit Langem gewohnt, jeder noch so kleinen Laune nachzugeben.
Er ging jedoch nicht so weit, ein Nachthemd und eine Schlafmütze anzuziehen. Der Geruch seiner Alltagskleider war ihm vertraut, und es gefiel ihm, wie sie seinen knochigen Körper verhüllten. Leider konnten selbst seine fast grenzenlosen magischen Kräfte die Spuren des Alters nicht verbergen. So war Saat vollständig angezogen zu Bett gegangen, und um das Spiel noch weiterzutreiben, hatte er sich bemüht, tatsächlich einzuschlafen. Das war ihm gelungen, und zwar schneller, als er vermutet hätte.
Als er nach einer Weile von einem schaurigen Schrei aus dem Schlaf gerissen wurde, war er im ersten Moment schrecklich wütend. Wer wagte es, ihn zu stören?
Offenbar musste er beim Aufwachen unwillkürlich selbst aufgeschrien oder sich zumindest so abrupt im Bett aufgesetzt haben, dass zwei seiner ramythischen Sklaven angelaufen kamen. Um seine Wut an irgendjemanden auszulassen, ließ Saat den Schädel des Ersten explodieren. Er verzog angewidert das Gesicht, als er sah, wie das Blut des Mannes auf sein schönes weißes Laken spritzte, und beschloss daraufhin, dem Zweiten stattdessen das Herz zu zermalmen. Saat machte eine beiläufige Handbewegung, und der Mann brach am anderen Ende des Zimmers zusammen.
Dann überlegte er, was wohl geschehen war. Hatte er tatsächlich einen Schrei gehört? Nein, er hatte ihn wohl nur in seinem Inneren widerhallen hören. Zweifellos war er das einzige Lebewesen auf der bekannten Welt, das den Schrei auf diese Art wahrgenommen hatte. Konnte es ein Traum gewesen sein? Nein, dazu war der Schrei viel zu echt gewesen.
Als er die letzte Schläfrigkeit abgeschüttelt hatte, konnte Saat das Phänomen endlich einordnen. Es war der Schmerzensschrei eines Todgeweihten gewesen – ein Schrei, den er nur zu gut kannte. Er hatte ihn schon oft gehört, mehr noch – in jedem Fall war er der Urheber dieses Schreis gewesen, der so durchdringend war, dass sein Echo bis zu den Grenzen des
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