Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
Fluch hinterher, den Guederic zwar nicht verstand, dessen Bedeutung er aber mühelos erriet. Er war genauso wütend wie sie.
Sie sprachen noch ein wenig länger über Damiáns Schlussfolgerung, aber bald wurde Josion ungeduldig. Er schlug vor, sich auf den Weg zu machen: Sie konnten auch unterwegs weiterreden. Die anderen widersprachen ihm nicht, sondern sammelten ihre Säcke und Bündel ein, die zum Großteil bereits gepackt waren.
Gleich darauf stapften die Erben wieder durch den Schnee, die Elchgeweihe stramm unter die Schuhe geschnürt. Doch nun war offenbar niemandem mehr nach Sprechen zumute. Sie betrachteten die schneebedeckte Landschaft, die jedoch so eintönig war, dass sie den Blick bald nach innen richteten.
Auch Josion hing seinen Gedanken nach. Das Gespräch vom Morgen hatte ihn nachdenklich gemacht. Es waren nicht so sehr die Seelen der Unsterblichen oder die mögliche Rückkehr der Dämonen, die ihn beschäftigten, denn seit sie Usul und der Sirenenkönigin begegnet waren, hatte Josion Zeit gehabt, sich an die Vorstellung zu gewöhnen. Nein, etwas ganz anders machte ihm Sorgen: Die Antworten seiner Mutter auf Damiáns Fragen.
Für ihn war offensichtlich, dass Zejabel log, auch wenn die anderen nichts bemerkt hatten. War er ihr gegenüber ungerecht? Hatte er ihr immer noch nicht verziehen, dass sie mit ihrem Drill seine Kindheit zerstört hatte? Aber vielleicht verheimlichte Zejabel den Erben tatsächlich wichtige Hinweise. Sie mochte ja gute Gründe dafür haben, aber wenn dem so war, dann wollte er sie wissen! Zumal er seinen Gefährten noch vor wenigen Tagen gesagt hatte, dass seine Mutter niemals log …
Josion wusste nicht, was er tun sollte. Natürlich hätte er Zejabel direkt darauf ansprechen können, aber das war gar nicht so leicht. Er musste den richtigen Moment abwarten und seine Worte mit Bedacht wählen, damit sie nicht den Eindruck hatte, er wollte sie einem Verhör unterziehen. Außerdem würde es ihm das Herz zerreißen, wenn er sich irren sollte. Es wäre schrecklich für Zejabel, von ihrem eigenen Sohn zu Unrecht beschuldigt zu werden … Ausgerechnet jetzt, wo sie sich nach langen Jahren des Schweigens wieder versöhnt hatten und sich seine Mutter zudem am Tod ihres Mannes und ihrer Freunde schuldig fühlte. Nein, das konnte Josion ihr nicht antun. Er würde damit leben müssen, dass seine Mutter Geheimnisse vor ihm hatte. Sicher tat sie ohnehin nur das, was sie für das Beste hielt. Die Wahrheit würde früher oder später schon noch ans Licht kommen …
Während er über Zejabel und ihre Beweggründe nachgrübelte, fiel ihm wieder ein, dass auch er im Dara gezeugt worden war. Als Embryo hatte er zwar nur wenige Tage im Jal verbracht, aber vermutlich hatte auch er damals mehrere Seelen von Verstorbenen in sich aufgenommen. Und diese Seelen mussten ihn in jenem Moment wieder verlassen haben, als sein Vater das Jal verleugnet und es so zum Verschwinden gebracht hatte.
Josion war jedenfalls froh, dass er nicht im Jal geboren war. Er fand die Vorstellung, dass er sich zu einem Gott hätte entwickeln können, beängstigend. Wer könnte sich ein ewiges Leben wünschen? Wer wollte hilflos zusehen, wie alle geliebten Menschen um einen herum älter wurden und starben? Wer könnte den Gedanken ertragen, aus den Seelen Verstorbener Kraft zu schöpfen? Er nicht! Doch zum Glück war er seit dem Verschwinden des Jal nur noch ein gewöhnlicher Sterblicher, genau wie Eryne.
Josion machte seinen Eltern keinen Vorwurf, weil sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort geliebt hatten. Schließlich waren es ihre ersten Berührungen gewesen … Außerdem war es ihm selbst vor einigen Jahren nicht anders ergangen, als er in Leidenschaft zu Hélione entflammt war. Solche Momente der Innigkeit ließen sich nicht vorhersehen, sie geschahen im Rausch des Augenblicks. Später erinnerte man sich dann mit Freude oder Reue daran zurück …
Diesen Gedanken schob Josion hastig wieder beiseite. Die Erinnerung an die Frau, die er verlassen hatte, war zu schmerzlich, auch wenn er immer noch überzeugt war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Für Hélione war es besser, sich von den Erben von Ji fernzuhalten. Also konzentrierte sich Josion darauf, den Horizont abzusuchen, und nach wenigen Dezillen entdeckte er dank seiner scharfen Augen tatsächlich etwas Interessantes.
» Vögel«, rief er und zeigte nach Nordosten. » Meeresvögel!«
Die Gefährten blickten seinem ausgestreckten Finger hinterher
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