Die Götter - Die Macht der Dunkelheit - Grimbert, P: Götter - Die Macht der Dunkelheit - Les Gardiens de Ji, Tome 3: Le deuil écarlate
und änderten dann ihre Marschrichtung. In der Schneewüste konnten Entfernungen täuschen, aber nach zwei weiteren Dezimen waren sie sicher, dass sie das Meer bald erreichen würden. Mit jedem Schritt wurde die Schneedecke dünner, fettes grünes Gras kam zum Vorschein, und zahlreiche Erdlöcher zeugten von der Umtriebigkeit ihrer tierischen Bewohner. Auch die Luft veränderte sich: Sie war zwar immer noch eisig, schmeckte aber mehr und mehr nach Salz. Die Erben legten eine kurze Rast ein und entfernten die Geweihe von ihren Schuhen, und ein paar Dezillen später schimmerte endlich der Spiegelozean am Horizont. Gleichzeitig stießen sie auf den ersten richtigen Weg, seit sie die Pforte durchschritten hatten.
Der Weg schlängelte sich gen Osten an der Küste entlang und führte aller Wahrscheinlichkeit nach Crek. Doch zunächst konnten die Erben die Blicke nicht von der endlosen blauen Weite abwenden, die sich vor ihnen erstreckte. Die arkischen Gewässer galten als äußerst gefährlich. Legenden zufolge lauerten in der Tiefe gewaltige Seeungeheuer. Der Name des Meeres wiederum ging auf die gewaltigen Eisschollen zurück, die auf seiner Oberfläche trieben und die sicher für wesentlich mehr Schiffbrüche verantwortlich waren als alle Seeungeheuer. Doch keines der beiden Phänomene hatte Arkarier oder Goroner je davon abgehalten, ihre Boote zu Wasser zu lassen. Allein jetzt dümpelten mindestens zehn Schiffe vor der Küste, und am Horizont zeichneten sich weitere Segel ab.
Nachdem sie eine Weile andächtig aufs Meer hinausgeschaut hatten, brachen die Erben zur letzten Etappe ihres Fußmarschs auf. Nun ging es endlich zurück in die Zivilisation. Wenn Lorilis die Familie, der sie am Vortag begegnet waren, richtig verstanden hatte, würden sie Crek gegen Mit-Tag erreichen. Josion war etwas unwohl bei dem Gedanken, denn damit würde auch die Ruhe der letzten beiden Tage dahin sein. Zwar hatten sie unter Kälte und Erschöpfung gelitten, aber das war nichts im Vergleich zu den Ereignissen im Tiefen Turm oder auf Usuls Insel. Und der nächste Kampf würde nicht lange auf sich warten lassen … Würden sie auch den nächsten Zusammenstoß mit ihren Feinden überleben? Ihr Glück konnte schließlich nicht ewig währen, und in der Zwischenzeit rekrutierte Saat neue Gefolgsleute und setzte seine finsteren Pläne in die Tat um – wie auch immer diese aussehen mochten.
Doch sie hatten keine Wahl. Sie mussten weiter, und so marschierten sie auf dem unbefestigten Weg voran. Bald begegneten sie einem grauhaarigen Arkarier, der leere Körbe auf den Schultern trug und sich weigerte, auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu wechseln. Als er stumm blieb, gab Lorilis den Gesprächsversuch auf und verabschiedete sich höflich. Entweder sprach der Mann einen ihr unbekannten Dialekt, oder die Erben hatten ihn durch ihr Verhalten ungewollt verärgert. Die Bewohner des Weißen Landes waren bekannt dafür, dass ihnen Höflichkeit und gutes Benehmen äußerst wichtig waren, nur waren ihre Anstandsregeln nicht immer leicht zu durchschauen.
Josion hoffte, sie würden in Crek nicht ebenfalls Anstoß erregen, ohne es zu bemerken. Die Gefährten mussten sich mit den Arkariern auf guten Fuß stellen, schließlich wollten sie in der Stadt Einkäufe machen: Ihre Essensvorräte gingen allmählich zur Neige. Wie sollten sie die Händler davon überzeugen, ihre lorelischen Terzen – das einzige Geld, das die Erben besaßen – zu akzeptieren, wenn sie ständig Angst haben mussten, gegen unbekannte Verhaltensregeln zu verstoßen?
Außerdem stellte sich die Frage, auf welchem Weg die Erben das Rideau-Gebirge erreichen wollten. Es gab mehrere Möglichkeiten: Sie konnten die Küste entlang bis zum Tal der Krieger reiten, sich dann nach Süden wenden und Gipfel für Gipfel absuchen. Oder sie konnten ein Boot nach Goran nehmen und von der Hauptstadt des Kaiserreichs aus einen der beiden Ströme, die dort zusammenflossen, flussaufwärts segeln. Die dritte Möglichkeit bestand darin, auf dem Alt bis zur Heiligen Stadt Ith zu segeln – wobei sie fast den ganzen Kontinent überqueren würden. Aber erst einmal musste es ihnen gelingen, ein paar robuste Pferde zu kaufen oder einen Platz auf einem Kutter zu mieten, und was das anging, hatte Josion allmählich so seine Zweifel. Als sie nach einer Weile drei Arkariern auf stämmigen Ponys begegneten und diese ihre freundliche Begrüßung nicht erwiderten, ahnte Josion, dass sie in Crek Schwierigkeiten bekommen
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