Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
Ihr hattet jedes Recht der Welt, ihn …«
»Ich will nichts mehr davon hören«, schnitt ihm Guederic das Wort ab. »Ich will diese ganze unselige Geschichte einfach vergessen. Ich bin nur gekommen, um meinen Mantel zu holen.«
Die scheinheiligen Schmeicheleien des Wirts gingen ihm auf die Nerven. Außerdem gefiel es ihm gar nicht, dass er schon wieder alle Blicke auf sich zog, auch wenn die einzigen Zeugen ihres Gesprächs ein paar Säufer waren, die sich schon am frühen Morgen kaum noch auf ihren Hockern halten konnten.
»Ich habe den Mantel für Euch verwahrt«, sagte der Wirt. »Ich wollte ihn zu Eurem Vater bringen lassen, war mir aber nicht sicher, ob …«
»Darüber müsst Ihr Euch jetzt nicht mehr den Kopf zerbrechen«, blaffte Guederic.
Er nahm den Mantel und zahlte die Zeche für den gestrigen Abend. Dann trat er auf die Straße und sog die frische Morgenluft ein. Der muffige Geruch im Wirtshaus hatte Erinnerungen an die nächtliche Prügelei in ihm wachgerufen und ihm die Laune verdorben. Vielleicht sollte er zum Hafen schlendern, denn er liebte es, den Schiffen beim Ein- und Auslaufen zuzusehen und von fernen Ländern zu träumen. Er könnte sich auch einfach in einem Park ins Gras legen und den Tag vertrödeln. Oder aber er streifte durch die Stadt und lauschte den Gesprächen der
Leute, denn dabei lernte man mehr als aus allen Büchern der Welt.
Ja, all das hätte er tun können. Aber an diesem Morgen wollte er seine Zeit wie so oft sinnvoll nutzen, und so schlug er den Weg zum Waisenhaus ein.
In Lorelia gab es drei große Kinderheime. Eigentlich war es egal, welches er besuchte, denn seine Mutter Eryne hatte zwei der Waisenhäuser gegründet und leitete alle drei. Zusätzlich kümmerte sie sich um achtzehn weitere Waisenhäuser jenseits der Grenzen Loreliens.
Ähnlich wie Amanón, ihr Ehemann, den Posten als Kommandant der Grauen Legion eher zufällig erlangt hatte, hatte auch Eryne ursprünglich nicht danach gestrebt, eine solch verantwortungsvolle Arbeit zu übernehmen. Doch nach Königin Agénors Tod und dem Ende des Kriegs zwischen Lorelien und Goran hatte Eryne, die kurz zuvor Damián zur Welt gebracht hatte, sich der Kriegswaisen angenommen. Sie hatte den Anblick all der Kinder, die verloren durch die Straßen irrten, einfach nicht mehr ertragen. Damals verhungerten viele Säuglinge, weil sie keine Amme hatten, denn seltsamerweise wurden in den ersten Jahren nach dem Krieg viel mehr Kinder als gewöhnlich geboren, und ein Teil der Neugeborenen wurde ausgesetzt, weil ihre Mütter bei der Geburt gestorben waren oder ihre Familien zu arm waren, um sie zu ernähren. Das einzige Waisenhaus, das es damals in Lorelia gegeben hatte, war rasch überfüllt gewesen. Daraufhin nahm Eryne die Dinge in die Hand: Zunächst kauften sie von ihrem eigenen Vermögen weitere Häuser, später begann sie dann auch, unter den lorelischen Edelleuten Spenden zu sammeln. Irgendwann hatte
sie so viel Geld beisammen, dass sie sogar im Ausland Waisenhäuser gründen konnte.
Natürlich reichte das nicht aus, um alles Elend endgültig aus der Welt zu schaffen, aber Eryne hatte Tausende Kinder vor Hunger, Krankheiten und einem frühzeitigen Tod bewahrt. Guederic konnte sich nichts Bewundernswerteres vorstellen, und deshalb half er seiner Mutter auch so oft wie möglich. Sinnvoller konnte er seine Zeit nicht nutzen. Nur manchmal musste er einfach allein sein und seinem unbändigen Freiheitsdrang folgen.
Nachdem er einige Dezimen durch die Straßen gelaufen war, trat er in den gepflasterten Hof des Waisenhauses Die helfenden Hände. Eine Pflegerin trat aus der Tür und grüßte ihn. »Eure Mutter ist heute Morgen nicht gekommen«, sagte sie mit einem leichten Stirnrunzeln. »Wahrscheinlich ist sie im Lustigen Margolin. Dafür war Euer Bruder vor wenigen Dezillen hier, weil er Euch suchte. Es schien wichtig zu sein.«
Guederic verzog enttäuscht das Gesicht und dankte der Pflegerin. Bis zum Lustigen Margolin war es ein langer Weg, und es war bereits Mit-Tag. Außerdem wusste er nicht mit Gewissheit, dass seine Mutter dort war. Am besten suchte er nicht länger nach Eryne, sondern machte sich ohne sie an die Arbeit.
Die Nachricht, dass Damián ihn suchte, ließ ihn hingegen völlig kalt. Vermutlich hatte sein Bruder Einzelheiten über die nächtliche Schlägerei erfahren und wollte ihn nachträglich die Leviten lesen. Dass Guederic einen Grauen Legionär auf die Bretter geschickt hatte, musste Damián gehörig gegen
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