Die Götter - Ruf der Krieger - Grimbert, P: Götter - Ruf der Krieger - Les Gardiens de Ji, Tome 1: La volonté du démon
hatte das Phänomen schon häufiger beobachtet. Auch sie besaß einen der Edelsteine und wurde nicht müde, ihn zu betrachten, denn er veränderte ständig sein Aussehen. Bald war er durchsichtig, bald trüb wie Nebel, mal schillerte er in allen Farben, dann wieder war er matt und glanzlos. Und das Tollste an dem Gwelom war: Die Veränderungen schienen mit der Gemütsverfassung und Gesundheit seines Trägers zusammenzuhängen. Bisher hatte Lorilis nicht herausgefunden, welchen Regeln die Veränderungen gehorchten, doch auch wenn das Phänomen unerklärlich war, war es deshalb nicht minder real. Jedes Mal, wenn Lorilis Fieber hatte, färbte sich ihr Stein zum Beispiel tiefrot. Außerdem wurden die Farben von
Jahr zu Jahr kräftiger, so als entstehe mit der Zeit zwischen ihr und dem Gwelom ein immer engeres Band.
Ihren Eltern zufolge hatten sich die Steine anfangs nicht verändert. Sie hatten sie im Rideau-Gebirge entdeckt und sie allein wegen ihrer außergewöhnlichen Schönheit mitgenommen. Erst neun oder zehn Jahre vor der Geburt ihrer Tochter hatten die Gwelome ihre geheimnisvolle Fähigkeit preisgegeben. Was es genau mit den Steinen auf sich hatte, blieb ein Rätsel, und Lorilis war froh, dass nur ihre Familie das Geheimnis kannte.
Zumindest hatte sie das bisher geglaubt. Doch nun hielt ihr der Uniformierte ein braunes Gwelom unter die Nase.
»Wer hat euch diesen Stein gegeben?«, fragte sie neugierig, ihre Angst mit einem Schlag vergessend. »Meine Eltern?«
»Nein. Der Kommandant der Grauen Legion höchstpersönlich. Er ist ein Freund deiner Eltern. Wahrscheinlich kommst du deshalb in den Genuss dieser Vorzugsbehandlung. Vertraust du mir jetzt?«
Lorilis wandte sich zu dem Bootsführer um, aber dieser zuckte nur hilflos mit den Schultern. Für ihn war das Gwelom nichts als ein gewöhnlicher Stein.
»Na gut«, sagte Lorilis kurz entschlossen. »Ich komme mit Euch.«
Sie dankte dem hilfsbereiten Kaulaner mit einem Kuss auf die Wange, ergriff die ausgestreckte Hand des Fremden und kletterte auf den Anlegesteg. Mit großen Schritten lief der Mann den Pier entlang, während sie hinter ihm herstolperte.
Am Ende des Stegs stießen drei weitere Männer in grauen Umhängen zu ihnen. Die Uniformierten wechselten
ein paar Worte miteinander, und Lorilis vermutete, dass sie sich entlang des Hafenbeckens verteilt hatten, damit sie ihre Ankunft nicht verpassten. Zumindest hoffte sie das … Denn sollte dies doch eine Falle sein, dann war sie nun ohne Frage zugeschnappt.
Der Abschied von den Kindern dauerte fast ebenso lange wie die Partie Hasch-mich-am-Kinn, die er zuvor mit ihnen gespielt hatte. Guederic wurde von einem Pulk Kinder umringt, die ihn nicht gehen lassen wollten, bevor er nicht jedem einen Abschiedskuss auf die Wange gegeben hatte. Er hatte den ganzen Tag mit ihnen getobt, herumgealbert, ihnen Geschichten erzählt und sie spielerisch dazu gebracht, ihre Arbeiten zu erledigen, und nun fiel ihnen die Trennung umso schwerer. Außerdem wussten die Kinder genau, dass er manchmal nachgab und bei ihnen im Schlafsaal übernachtete. Also ließen sie nicht locker, sondern zupften weiter beharrlich an seinen Kleidern. Ein paar begannen sogar zu weinen.
Doch diesmal ließ sich Guederic nicht erweichen. Ihre flehenden Gesichter berührten ihn zwar durchaus, aber er wusste auch, wie schnell Kinder ihren Kummer vergaßen. Kaum einen halben Dekant nach seinem Aufbruch würden sie ein neues Spiel gefunden haben, und ihr Schlafsaal würde wieder von Kichern und Prusten widerhallen. Er selbst hatte an diesem Abend nämlich noch etwas vor. Keine Zechtour oder nächtliche Schlägerei diesmal: Nein, er wollte mit seinen Eltern zu Abend essen. Er sehnte sich danach, endlich wieder einmal in Gesellschaft von Eryne und Amanón ein schmackhaftes Mahl einzunehmen.
Plötzlich spürte Guederic, wie sehr ihm die gemeinsamen Mahlzeiten, das Lächeln seiner Mutter und der wohlwollende Blick seines Vaters fehlten.
»Morgen komme ich wieder!«, versprach er. »Aber dafür müsst ihr mich erst einmal gehen lassen.«
Die Kinder begriffen, dass Guederic es ernst meinte, und ließen ihn los. Er winkte den Pflegerinnen zum Abschied zu, verließ den Schlafsaal und stieg die Treppe hinunter. Als er auf den Hof hinaustrat, überlief ihn in der kühlen Abendluft ein Schauer.
Für einen kurzen Moment bedauerte er, nicht mit dem Pferd gekommen zu sein. Er war ein guter Reiter, und seine Eltern hatten mehrere prächtige Tiere im Stall stehen. Zu
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