Die Götter von Freistatt
Tempelmauern schallte, erinnerte Molin sie an ihre Pflicht.
»Jene zehn, die Vashanka vernichtete, fielen in Ungnade und fanden bis zum heutigen Tag keinen, der ihre ehemalige Göttlichkeit ehrt. Nicht einmal ihre Namen sind mehr bekannt. Doch der Zorn eines Gottes ist stärker als der Geist eines Sterblichen. Sie werden ihren Tod erneut spüren und sich an diesem Ort sammeln, um einen ahnungslosen, schwachen Sterblichen zu finden, den sie übernehmen und zur Rache an ihrem Bruder benutzen können. Es ist eure Pflicht, dafür zu sorgen, daß es nicht dazu kommt!«
Zalbar, der Hauptmann der Höllenhunde, bestätigte Molins Befehl mit dröhnender Stimme.
6
Die Frauen - sie waren alle wie Frauen gekleidet, obgleich Seylalha wußte, daß einige in den wallenden Gewändern die Eunuchen waren, die sie ständig bewachten - kamen herbei, um ihr den schweren Umhang abzunehmen. Sie schüttelte die zerdrückte Seide, um sie zu lockern, und verschränkte erwartungsvoll die Finger. Eine Abgrenzung aus Netzgewebe trennte die Musikantinnen von den anderen Teilnehmern dieses Dramas, aber ihre Klänge waren vertraut und angenehm beruhigend. Der Teppich, auf dem sie ihren Tanz immer geübt hatte, lag etwas seitwärts von der Mitte des Zeltes, und dahinter befand sich ein Kissenhaufen, zu dem die kräftigen »Frauen« sie geleiteten.
Die Männer in den weißen Kitteln wurden zu einem üppig gedeckten, niedrigen Tisch gebracht und fielen fast übereinander, als sie sich auf die reichhaltigen Speisen stürzten. Die maskierte Gestalt, die etwas abseits stand und sich unter der prächtigen Gewandung sichtlich unbehaglich fühlte, führte man zu einem anderen Tisch, auf dem lediglich hartes Brot, ein Krug - sicher mit Wasser - und ein häßliches stumpfes Kurzschwert zu sehen waren.
Das also ist der Gott, dachte Seylalha, als die Gestalt die Maske abnahm. Er wirkte nicht gerade kraftvoll, doch welcher zivilisierte Mann war nicht verweichlicht? Jedenfalls war er ein Mann.
Der Gottmann schaute sie jedoch nicht an, sondern zog es vor, in den dunkelsten Winkel des Zeltes zu starren. Dieser seltsame Mangel an Interesse für sie beunruhigte Seylalha. Sie rutschte von den Kissen und nahm ihre Tanzhaltung ein. Sie erwartete, daß die Musikantinnen nun nach ihren Instrumenten greifen würden. Doch statt dessen fuchtelten sie mit ihren Klapperstöcken, und die Eunuchen zerrten Seylalha grob auf die Kissen zurück. Sie schüttelte ihre Hände ab, denn sie wußte, daß sie es nicht wagen durften, ihr weh zu tun, doch da wurde ihre Aufmerksamkeit - und nicht nur ihre, sondern die eines jeden im Zelt - auf einen Neuankömmling gelenkt, der schon eher so aussah, wie man sich einen Gottmann vorstellte. Er war unbemerkt aus der Dunkelheit gekommen und hielt einen blanken Dolch in seiner Linken.
Er war sehr groß, kräftig und hatte die rauhen Züge eines groben, heftigen Mannes. Der, den sie zuerst für den Gottmann gehalten hatte, umarmte ihn herzlich.
»Ich hatte schon Angst, du würdest nicht kommen, Tempus.«
»Ich gab Euch und Ihm mein Wort. Fackelhalter ist gerissen, er mißtraut mir bereits - so konnte ich nicht einfach nach Euch hereinspazieren, mein Prinz.«
»Sie ist bildschön ...«, murmelte der Prinz und blickte zum erstenmal offen zu Seylalha.
»Habt Ihr es Euch anders überlegt? Es wäre bestimmt das beste - selbst jetzt noch. Ihre Schönheit bedeutet mir nichts. Nichts von alldem hier bedeutet mir etwas, außer, daß es geschehen und ich es tun muß.«
»Ja, du wirst es tun - obgleich sie wahrhaftig bezaubernder ist, als ich es für möglich gehalten hätte.«
Der Obereunuch im Frauengewand eilte herbei, um die Männer zu trennen, und versetzte dem Eindringling einen heftigen Stoß. Seylalha, die die Körpersprache gut zu lesen vermochte, erstarrte erschrocken, als der riesenhafte Fremde sich umdrehte, kurz zögerte und dann den Dolch tief in die Brust des Eunuchen stach. Die anderen »Frauen«, die wenig mehr als einige verschwommene Bewegungen sahen, schrien entsetzt auf, als der Obereunuch tot auf den Boden sackte. Selbst die Männer in den weißen Kitteln hörten auf zu essen und drängten sich wie verängstigte Schafe zusammen.
»Es muß geschehen, ich warnte Euch, mein Prinz, - nicht nur die zehn, sondern alle anderen ebenfalls. Wenn Euch Blutvergießen zuwider ist, wäre es besser, Ihr zieht Euch jetzt zurück. Meine Männer erwarten Euch. Ich werde nun meines Vaters Arbeit tun.«
»Was ist mit Zalbar? Ich habe Molins
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