Die Götter von Freistatt
Ansprache gehört. Ich wußte zuvor nichts davon.«
»Weder Zalbar noch die anderen haben mich bemerkt. Sie werden auch Euch nicht sehen.«
Der, den er Prinz genannt hatte, schlich in die Dunkelheit. Der andere zog langsam den Dolch aus der Leiche.
»Unser kaiserlicher Prinz hält nichts von blutigen Ritualen und Gewalttätigkeit«, wandte er sich an alle im Zelt. »Er hat mich gebeten, an seiner Stelle die Rolle meines Vaters zu übernehmen. Ist jemand hier, der mir das Recht absprechen möchte, für Vashanka und meinen Prinzen zu handeln?«
Die Frage war rein rhetorisch. Die blutige Leiche verriet, was mit demjenigen geschehen würde, der es wagte zu widersprechen. Seylalha riß eine schwere Quaste von einem der Kissen und zerpflückte sie hinter ihrem Rücken. Sie klammerte sich an den Glauben, daß ihr Leben auf diesen einen Tag gerichtet gewesen war, und daß ihr Tanz ihre Rettung sein würde. Doch dieser Glaube geriet ins Schwanken, als die Eunuchen, die sie seit Jahren eingeschüchtert hatten, ihre Furcht nicht verbergen konnten, und die Männer in den weißen Kitteln vergeblich versuchten, sich irgendwo zu verstecken.
Mit unheilvollem Lächeln trat der Gottmann an den kleineren Tisch, brach einen Mundvoll Brot ab, leerte den Krug mit salzigem Wasser, und hob das plumpe Schwert. Er wog es in den Händen, und seine Finger paßten sich ihm genau an. Mit demselben furchterregenden Lächeln schritt er jetzt auf die Männer in Weiß zu.
Trotz des Mittels, das man ihnen eingeflößt hatte, rannten sie durch das Zelt, während er immer wieder zum tödlichen Schlag ausholte. Der Klügste und am wenigsten Betäubte der Verdammten stürzte sich durch das dünne Netz, um sich zu den Musikantin nen zu retten. Der Gottmann rechnete mit seinen »Brüdern« ab, ohne sich von der Dunkelheit aufhalten zu lassen, und mit einer wilden Entschlossenheit, die verriet, daß er ganz in seiner Rolle aufgegangen war. Er schob die zungenlos wimmernden Frauen mit der freien Hand zur Seite und setzte seine blutige Arbeit fort. Als die zehn getötet waren, sammelte er ihre Köpfe ein und trug sie zu dem langen Tisch, auf dem er sie aufhäufte.
Seylalha, die immer noch auf den Kissen kniete, schlang die Seide eng um sich und wand sich die losen Enden um die Arme, bis sie zur seegrünen Statue geworden war. Der hauchdünne Stoff verbarg jedoch nichts von ihrer Schönheit und auch nicht ihre Angst. Als der blutbesudelte Fremde, der mehr Gott als Mensch war, den letzten Schädel auf dem Tisch abgeladen hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den Eunuchen zu. Seylalha zog die Nadeln aus ihrem Haar, so daß die honigfarbene Pracht herabwallte, ihre Augen bedeckte und sie nicht mitansehen mußte, wie ihre Wächter starben. Dann ballte sie ihr Haar zusammen und drückte es in und an die Ohren, um das Winseln der Halbmänner nicht zu hören. Wie schon als Kind und oft als Frau wiegte sie sich auf den Fersen und betete leise zu Göttern, deren Namen sie längst vergessen hatte.
»Es ist soweit, Azyuna.«
Seine Stimme riß sie aus dem Gebet. Seine Finger legten sich um ihr Handgelenk und zogen sie unerbittlich auf die Füße. Ihre Beine zitterten, und ohne seine Hilfe hätte sie sich nicht auf den Füßen zu halten vermocht. Als er sie sanft schüttelte, preßte sie die Lider zusammen und hing schlaff in seiner Hand.
»Öffne die Augen, Mädchen. Es ist soweit!«
Seylalha gehorchte dem fremden Willen. Sie öffnete die Augen und schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht. Die Hand, die sie hielt, war sauber, ohne Spuren von Blut. Und die Stimme, die ihr befahl, hatte etwas von ihrem fast vergessenen, wilden Geburtsland in sich. So stumm und verängstigt wie die Frauen hinter dem zerrissenen Netz hing sie in dem Griff des Gottmannes.
»Du bist offenbar die, die Azyunas Flehen darstellen soll - so wenig du ihr auch ähnelst. Zwinge mich nicht, dir weher zu tun, als ich ohnehin muß!« Er flüsterte es eindringlich, ganz nah an ihrem Ohr, und sein Atem war so warm wie Blut. »Oder haben sie dir nicht alles erzählt? Ich bin ich selbst, ich bin Vashanka - wir beide werden ungeduldig, Mädchen. Tanze, dein Leben hängt davon ab!«
Er drehte leicht ihr Handgelenk und ließ sie auf den blutbesudelten Teppich fallen. Sie strich ihr Haar mit dem Arm zurück, der von seinem Griff gerötet war. Der Gottmann hatte die dunkle Kleidung ausgezogen, die er während des Tötens getragen hatte, und stand nun neben den Kissen in einer sauberen goldgewirkten
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