Die Götter von Freistatt
Toga. Aber das Schwert hing noch an seiner Seite, das Blut war nicht ganz abgewischt. Sie las seine Anspannung aus der Haltung seiner Beine und an der Art, wie seine Linke nach dem Schwertgriff ausgestreckt war, und wie er ganz leicht eine Braue nach unten zog. Da erinnerte sie sich, daß der Tanz ihre Freiheit bedeutete.
Seylalha streckte eine Hand durch das zerzauste Haar und deutete mit zwei Fingern auf die Musikantinnen. Der zögernde, schrille Akkord verriet deren Angst, doch dann fand die Tamburinspielerin den richtigen, pochenden Ton, und der Tanz begann.
Zuerst spürte Seylalha den unebenen Boden unter dem Teppich und die nassen Flecken darauf, genau wie sie diese eisigen Augen und ausgestreckten Finger sah. Doch dann gab es nur noch die Jahre der Übungen, die Musik und die Heftigkeit des Tanzes selber. Dreimal spürte sie, wie sie ausrutschte, doch dreimal rettete die Musik sie, und sich windend und drehend fing sie sich mit vom Willen angespornten Muskeln, denen sie nicht gestattete, Schmerzen zu verspüren.
Ihre Lunge brannte, ihr Herzschlag schien ihr lauter zu sein als das Tamburin - sie tanzte. Nun hörte sie nur noch den hämmernden Rhythmus der Musik und ihres Herzens. Sie sah die dunkle, üppige Azyuna vor sich, wie sie einst vor ihrem langzahnigen, blutbesudelten Bruder getanzt hatte.
Der Gott Vashanka lächelte, und Seylalha, mit honigfarbenem Haar, das sich in der seegrünen Seide verfing, begann den wirbelnden Abschluß des Tanzes. Sie hatte einen salzig-metallischen Geschmack im Mund, als sie sich zum Fußfall neigte, der fast zu einem kaum noch beherrschten Zusammensacken auf dem Teppich wurde. Deutlich war im Fackellicht zu sehen, wie sie am ganzen Leib zitterte, und der Schweiß schimmerte auf ihrer Haut.
Dunkelheit stand am Ende ihrer Gedanken, die absolute Finsternis der Erschöpfung, und der Tod. Das war eine Freiheit, mit der sie nicht gerechnet hatte. Doch in dem noch hellen Mittelpunkt ihrer Gedanken sah sie zunächst den blutigen Gott, dann den Fremden, der weiß und honigfarben war. Beide lächelten, beide kamen auf sie zu. Das Schwert war verschwunden.
Starke Arme strichen ihr Haar zurück, legten sich um sie, hoben sie mühelos vom Teppich und drück ten sie an kühle, trockene Haut. Ihr bleierner Arm schüttelte die Müdigkeit ab und fand zum Ausruhen seine Schulter. Hatte Azyuna ihren Bruder so sehr geliebt?
»Laß sie los! Ich bin die passende Schwester für deine Lüste.« Eine Frauenstimme, die nicht Seylalhas war, hallte im Zelt und ließ gleichermaßen an Feuer und Eis denken.
»Cime!« rief der weiß-und-honigfarbene Mann, während Seylalha hilflos auf den Teppich zurückglitt.
»Sie ist eine Sklavin, ein Werkzeug des Tempels, um sowohl dich wie Vashanka zu entwaffnen!«
»Was führt dich hierher?« Die Stimmes des Mannes klang erstaunt, ein wenig verärgert und eine Spur erschrocken. »Du hast doch gar nicht wissen können ...«
»Was mich hierher führte? Der Geruch von Zauberei, Priestern und Ränken. Zumindest soviel schulde ich dir - sie wollen den Gott in Bande schlagen! Sie wollten den lilienreinen Prinzen von Vashanka besitzen lassen und einen Prinzen gewinnen, wenn vielleicht schon kein Kind. Ihre Pläne sind hinreichend zunichte gemacht.«
Seylalha drehte sich vorsichtig und hob einen Arm, um unter ihrem Haar die große schlanke Frau mit dem graudurchzogenen Haar sehen zu können. Sie atmete jetzt etwas leichter. Der Tanz hatte sie nicht getötet - doch nur der Gott konnte ihr die Freiheit schenken.
»Sterbliches Fleisch ist keine Fessel - wie du sehr wohl weißt, haben Vashankas Kinder ihren besonderen Fluch zu tragen ...«, sagte der Gottmann und trat auf die Frau zu.
»Dann vollenden wir ihr armseliges Ritual und verdammen den Fluch. Sie werden die Schlampe töten, wenn sie das nächste Mal ihre Periode bekommt. Und was uns betrifft - wer weiß? Eines Gottes Freiheit?« Die Frau, die der Mann Cime genannt hatte, riß ihr Mieder auf und offenbarte einen Körper, der das Grau in ihrem Haar Lügen strafte. Seylalha spürte, wie der Mann sich weiter von ihr entfernte. Cimes Worte hallten mit spöttischem Klang in ihren Ohren wider. Sie hatte sich vorgestellt, wie Vashanka sich auf seine dunkle Schwester fallen ließ. Dieser Gottmann würde es nicht anders tun. Und sie, Seylalha würde nur noch bis zum Vollmond eine Gnadenfrist haben. Während Bruder und Schwester langsam aufeinander zugingen, schlossen Seylalhas Zehen sich um den Griff des abgelegten
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