Die Götter von Freistatt
Prinzen hierherbefohlen, daran zweifelte er nun nicht mehr. »Sie scheint sich jedenfalls völlig erholt zu haben.«
»Ihr habt sie doch freigelassen, Molin, nicht wahr?« warf der Prinz ein.
»Nun, es ist noch zu früh, um festzustellen, ob sie guter Hoffnung ist. Jedenfalls hielt ich es für angebracht, ihr Überleben als ein Zeichen der Gunst des Gottes zu deuten - in Ermangelung anderer Unterrichtung. Ihr habt Euch inzwischen an nichts erinnert, mein Prinz?« Molin wandte sich dem jugendlichen Statthalter zu, warf jedoch einen Seitenblick auf Tempus. Da war etwas in der Miene des Höllenhundes, wann immer der Zehntod erwähnt wurde, aber Molin zweifelte, daß er je etwas Näheres erfahren würde. Kadakithis behauptete, der Gott habe von dem Augenblick an, da die Zelttür versperrt wurde, von ihm Besitz ergriffen und ihn offenbar nicht verlassen, bis er sich bei Sonnenaufgang in seinem eigenen Bett wiedergefunden habe.
»Und wenn sie schwanger ist?« fragte Tempus scharf.
»Dann wird sie ihr Leben im Tempel verbringen, mit allen Rechten einer Freigelassenen und lebenden Gattin unseres Gottes - wie Ihr wißt. Ihre Macht könnte beachtlich werden - doch das vermag nur die Zeit zu erweisen. Es hängt von ihr ab und dem Kind - falls sie eines haben wird.«
»Und wenn nicht?«
Molin zuckte mit den Schultern. »Wird es in vielerlei Hinsicht kaum anders werden. Es liegt nicht in der Macht des Tempels, die Ehren, die wir einmal verliehen, zurückzuziehen. Vashanka hielt es für angebracht, sie aus der Feuersbrunst zu retten.« Es war leichter sich vorzustellen, daß Vashanka von Tempus Besitz ergriff, als von dem Prinzen, aber Molin war nicht Hohepriester geworden, weil er unvorsichtig öffentlich seine Meinung sagte. »Wir erkennen sie als die Erste Gemahlin von Freistatt an. Natürlich wäre es am besten, wenn sie guter Hoffnung wäre.«
Tempus nickte und blickte den Prinzen an. Das war das Zeichen, auf das Kadakithis gewartet hatte. Er hatte sich bei dieser Aussprache noch unbehaglicher gefühlt als Molin, der Heimlichtuerei gewöhnt war. So verließ der Prinz das Gemach ohne höfische Förmlichkeit. Der Hohepriester und der Höllenhund blieben noch kurz.
»Ich habe mich in den vergangenen Tagen oft mit ihr unterhalten. Erstaunlich, festzustellen, daß eine Sklavin Verstand hat, nicht wahr?« sagte Molin laut zu sich, aber doch mehr für den Höllenhund. Wenn Tempus ein Interesse an Seylalha hatte, wollte die Priesterschaft es nutzen. »Sie ist überzeugt, daß sie mit dem Gott schlief - in allen anderen Beziehungen ist sie intelligent und keineswegs leichtgläubig. Ihr Glaube an ihren Liebsten ist jedoch unerschütterlich. Immer noch tanzt sie ohne musikalische Begleitung für ihn. Ich habe ihr neue Seide besorgt, aber Frauen und Eunuchen müssen erst aus der Hauptstadt kommen, und das braucht Zeit.
Jeden Abend bei Sonnenuntergang sehe ich ihr zu. Es scheint ihr nichts auszumachen. Sie ist sehr schön, aber auch traurig und einsam - ihr Tanz hat sich seit dem Zehntod geändert. Ihr solltet einmal kommen und ihr ebenfalls zusehen.«
Tempus
Ein Mensch und sein Gott
Janet Morris
1
Sonnwendgewitter tobten über Freistatt. Blitze zuckten, und der Regen wusch den Staub von den Dächern und den Gesichtern der Söldner, die durch die Stadt zogen auf ihrem Weg gen Norden, wo (wie die Seher behaupteten und die Gerüchte zu bestätigen schienen) das rankanische Reich sich auf einen Krieg vorbereitete und bald Soldaten in großer Zahl anwerben würde.
Der Himmelserguß löschte die Kochfeuer westlich der Stadt, wo der Troß sein Lager aufgeschlagen hatte, da die Elendsunterkünfte in der Stadt alle überfüllt waren. In Zelten aus übelriechenden schlechtgegerbten Fellen verkauften Waffenhändler ihre Ware an Söldner, deren Augen schärfer waren als das meiste wachsgeschmiedete Eisen, und deren Rüstungen so gezeichnet sein mußten, daß der Freund sie vom Feind unterscheiden konnte, und damit sie Fremde auf ihre unfehlbare Kampfkraft hinwiesen, so daß sie einen hohen Sold verlangen konnten. Feine Plattenharnische sowie Kettenhemden waren in diesem Sommer in Freistatt genauso zu haben wie die besten Streitäxte und Schwerter, aber auch Helme mit Kämmen in Farben nach Wunsch. Schlimmer als jetzt, nachdem die Abwindbrise erst durch das Lager gezogen war, hatte es nie gestunken.
Da und dort zwischen den dampfenden Feuerbecken drillten Belagerungsfachleute und Festungsbefehlshaber ihre Leute, damit sie sich nicht aus
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